Veröffentlicht in: „Sie Oberteufel!“, Briefe an Karlheinz Deschner; Details

Irene Nickel

Aus einem Brief an Karlheinz Deschner

Kreuzestheologie und Theodizee 1
im Gegensatz zu
Urteilsvermögen und Gerechtigkeitssinn;
problematische Liebesbeziehung
zu einem problematischen Gott

[...] Dass für die Erlösung der Menschen der Foltertod Jesu notwendig gewesen sein soll, ist grausamer Unsinn. Selbst dann, wenn man die höchst fragwürdige Voraussetzung akzeptiert, die Menschen wären furchtbar schuldig und bedürften der Vergebung ihres Schöpfers. Ein allmächtiger Gott hätte, wenn er nur gewollt hätte, den Menschen vergeben und sich mit ihnen versöhnen können, ohne weiteres, ohne den eigenen Sohn in den Tod zu schicken. Christliche Begründungen zum Leiden und Sterben Jesu sind haarsträubend.

Paulus schreibt dazu: „... damit Gott erweise seine Gerechtigkeit.“ 2 Wieso Gerechtigkeit? Der Tod eines Unschuldigen ist weiteres Unrecht. Ein gerechtes und mitfühlendes Wesen würde Trauer und Zorn darüber empfinden. Paulus aber schreibt: „... wir mit Gott versöhnt sind durch den Tod seines Sohnes“ 3. Welchen Charakter muss ein Gott haben, der dadurch versöhnt wird? Wie kann ein Mensch einen solchen Gott verehren?

Paulus nennt die ganze Geschichte einen „Erweis der Liebe Gottes“ 4. Wie traurig, wie beschämend muss es für einen anständigen Menschen sein, eine solche Begnadigung anzunehmen, die mit den Qualen eines anderen erkauft ist! Macht die Liebe dieses Gottes traurig und beschämt?

Diese ganze Dogmatik erweckt zwar den Eindruck, als habe sie so gut wie keine Konsequenzen für das menschliche Handeln. Ich halte sie aber für sehr gefährlich für das menschliche Denken. Denn nur unter Ausschaltung von Urteilsvermögen und Gerechtigkeitssinn kann ein Mensch derartige Dogmen akzeptieren.

Was aber wird ein Mensch alles akzeptieren und tun, wenn er einmal begonnen hat, Urteilsvermögen und Gerechtigkeitssinn auszuschalten? Wenn er so zum Spielball seiner seelischen Bedürfnisse geworden ist, zum Spielball von Demagogen? Die Geschichte zeigt uns Trauriges [...]

Jeder Versuch, an einen allmächtigen und menschenfreundlichen Gott zugleich zu glauben, muss zur Untergrabung der Urteilsfähigkeit führen.

Manche versuchen in ihrer „Bescheidenheit“ gar nicht, dies „Geheimnis“ zu ergründen, und oszillieren zwischen dem allmächtigen und dem menschlich-machtlosen Gott, wie sie ihn gerade brauchen.

Andere wollen mehr Klarheit und suchen nach Gründen, warum die Leiden gut für die Menschen sein könnten. Was dabei an unmenschlichem Unsinn herauskommt, will ich hier nicht ausbreiten. [...]

Zur Psychologie von gläubigen Christen. „Wie maßgeschneidert passt das Christentum zu solchen Menschen!“, dachte ich, als ich die Bücher der Familientherapeutin Robin Norwood las. Dort geht es um Frauen, die die fatale Neigung haben, sich immer wieder in besonders problematische Männer zu verlieben, Alkoholiker, Gewalttäter und ähnliche. Die Parallelen zwischen diesen „beziehungssüchtigen“ Frauen und christlichen Gläubigen eines bestimmten Typs gehen weit hinaus über das altbekannte Rezept von Christus als Drogenersatz oder Ersatzdroge. Die Beziehung des Christen zu seinem Gott ist ja auch eine Liebesbeziehung, dieser Gott ist ein problematischer Typ, und so ergeben sich ähnliche Gefühle.

Dieser Gott mutet seinen angeblich geliebten Gläubigen einiges zu: vom demütigenden Sündenbewusstsein für alle bis zu unerträglichen Leiden für Einzelne, das ja nach christlicher Auffassung von diesem Gott gesandt oder zumindest bewusst zugelassen wird.

Solch einen Gott als liebenden Vater zu begreifen, das bringen wohl nur Menschen fertig, denen so etwas von Kind an vertraut ist [...]

***

1 Mehr zum Thema Theodizee-Problem:
  Ein Gott, allmächtig und sehr gütig – zu schön, um wahr zu sein,
 
  mehr zum Thema Kreuzestheologie

2 Römer 3,25

3 Römer 5,10

4 Römer 5,8

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