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Theodizee – ein Aufsatz in 3 Teilen:
1. Teil: Das Problem
2. Teil: Angebliche Entbehrlichkeit von Lösungen
3. Teil: Angebliche Lösungen ________________________________________________________
Irene Nickel
Theodizee II:
Versuche der Rechtfertigung des Glaubens
an einen allmächtigen und gütigen Gott
Rückschau auf den 1. Teil:
Das Theodizee-Problem
stellt die Lehre von einem allmächtigen und gütigen Gott
von zwei Seiten her in Frage:
Von Tatsachenfragen her:
Kann diese Lehre wahr sein
angesichts des Leidens von Menschen und Tieren?
Und von Wertungsfragen her:
Kann diese Lehre akzeptabel sein,
wenn nach ihren Wertmaßstäben
ein allmächtiger Gott,
der all die Leiden von Menschen und Tieren
herbeigeführt hat oder duldet,
als „gütig“ angesehen wird?
Wie gehen Gläubige mit dem Theodizee-Problem um?
Am Glauben an einen allmächtigen und gütigen GottTP 1
halten auch Menschen fest,
denen das Theodizee-Problem wohlbekannt ist.
Einige von ihnen bemühen sich,
Rechtfertigungen für ihr Festhalten an diesem Glauben zu finden.
Dazu beschreiten sie zwei Wege:
• Die einen versuchen,
das Theodizee-Problem zu lösen:
Sie suchen nach Begründungen,
warum all die Leiden von Menschen und Tieren
einen guten Sinn haben könnten;
sodass ein GottTP ,
der diese Leiden herbeigeführt oder zugelassen hätte,
deshalb nicht den Vorwurf mangelnder Güte verdienen würde.
In angeblichen Lösungen
präsentieren viele dieser Gläubigen Begründungen,
mit denen sie sich noch tiefer
in ethisch problematische Wertungen verstricken.
Einzelheiten dazu in
Theodizee III:
Angebliche Lösungen für das Theodizee-Problem
• Die anderen erklären,
eine Lösung für das Theodizee-Problem sei gar nicht erforderlich.
Sie präsentieren Begründungen,
warum es angeblich legitim sei,
auch ohne Lösung des Theodizee-Problems
festzuhalten am Glauben an einen allmächtigen und gütigen GottTP.
Kombinationen sind möglich:
Für bestimmte Fälle werden Begründungen präsentiert,
warum Leiden angeblich einen guten Sinn haben soll;
und für die restlichen Fälle
wird eine Lösung des Problems für überflüssig erklärt.
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Angebliche Entbehrlichkeit
einer Lösung des Theodizee-Problems
Die Suche nach Lösungen für das Theodizee-Problem
ist heute bei vielen Theologen und Kirchenleuten
nicht mehr „in“.
So meint der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen,
Alfred Buß:
Ehrliche Theologie gesteht ein, dass es auf die Frage
nach dem Sinn des Leidens keine Antwort gibt.
Wer sie trotzdem versucht, setzt nur Irrlichter auf.
(gefunden unter http://www.idea.de/cfml/index.cfm,
Link nicht mehr aktiv)
Vielen Theologen und Kirchenleuten ist aufgefallen,
zu welchen „Irrlichtern“ die vielen Bemühungen geführt haben,
das Theodizee-Problem so zu lösen,
dass eine überzeugende Rechtfertigung des Glaubens
an einen allmächtigen und gütigen GottTP herauskommt:
Sie führten zu Lösungsversuchen,
die weder Verstand noch Gefühl zu überzeugen vermögen,
ja zum Teil noch problematischer sind als das Problem.
Zu Lösungsversuchen,
die erst recht die Aufmerksamkeit darauf lenken,
wie unlösbar das Theodizee-Problem ist
und wie fragwürdig mithin
der Glaube an einen allmächtigen und gütigen GottTP.
Kein Wunder, dass einige Christen mit Abwehr reagieren.
Als „Versuchung“, geradezu als Teufelszeug
scheint Marco M Olivetti, Prof. f. Religionsphilosophie, Rom,
die Theodizee-Frage anzusehen:
Aber sollen wir versuchen, diese Frage zu beantworten,
oder sollten wir nicht lieber versuchen,
dieser Frage zu widerstehen
und sie als Versuchung zu betrachten?
Das ist vielleicht nochmals die Versuchung
des Baumes der Erkenntnis oder der Wissenschaft...
Hausarbeiten.de, Suche nach „theodizee olivetti“
gespeichert am 19. Juni 2005
Eine derartige religiös begründete Aufforderung,
die Beschäftigung mit einer Frage zu unterlassen,
ist natürlich alles andere als ein Beweis dafür,
dass die Frage unberechtigt wäre.
„Treue“ empfiehlt der Theologe Klaus Berger:
Man muss angesichts dieses Gottes das entwickeln,
was auch sonst im Leben nötig ist,
nämlich aushalten können,
Treue
und zu dem stehen, was Gott uns verheißen hat,
auch wenn es im Augenblick nicht so aussieht,
als dass er’s je erfüllen würde
Quelle: Eberhard Reuß, Südwestrundfunk SWR2,
Glaubensfragen, Wie viel Leid erträgt der Mensch? Disclaimer
gespeichert am 25.1.2010
„Treue“ ist ein starkes Wort für „lobenswerte Beständigkeit“ –
aber nicht immer ist Beständigkeit lobenswert.
Sie kann umschlagen in eine starrsinnige Weigerung,
dazuzulernen,
sich neuen Erkenntnissen zu stellen
und angemessene Konsequenzen daraus zu ziehen.
Abzulenken versucht Karl Lehmann,
der Vorsitzende der (katholischen) Deutschen Bischofskonferenz:
Wenn bei der Antwort auf die Frage,
warum Gott solches Leid zulasse, fast die Worte ausbleiben,
so können wir dennoch etwas tun: helfen.
gespeichert am 19. Juni 2005
Richtig, wir können helfen.
Damit haben wir indessen keine Antwort auf die Frage,
ob die Lehre von einem allmächtigen und gütigen GottTP
glaubwürdig ist oder nicht.
Zwei weitere Versuche,
eine Lösung des Theodizee-Problems entbehrlich erscheinen zu lassen,
will ich ausführlicher darstellen:
1. den Vorwurf fehlender Einsicht in die Grenzen des Menschen
2. den Appell an das Gottvertrauen
Der Vorwurf fehlender Einsicht in die Grenzen des Menschen
Nichtreligiöse Menschen sehen im Theodizee-Problem
vor allem eine Bestätigung ihrer Überzeugung
von der Nichtexistenz jenes allmächtigen und gütigen GottesTP,
der in den Heiligen Schriften von Christen, Juden und Muslimen
verkündet wird.
Gläubige sehen das Theodizee-Problem
eher aus einem anderen Blickwinkel:
Sie setzen die Existenz ihres Gottes als gegebene Tatsache voraus
und sehen im Theodizee-Problem
eher eine Infragestellung der Güte ihres Gottes;
oder, bei verwandten Problemen,
eine Infragestellung seiner Gerechtigkeit.
Daraufhin gehen einige Gläubige zum Angriff über:
Denen, die solche Probleme vorbringen,
werfen sie Anmaßung vor
oder auch Selbstüberschätzung,
fehlende Einsicht in die Grenzen des Menschen.
Der Mensch halte sich für klüger als Gott,
schreibt P. Albert Keller SJ (Societas Jesu, „Jesuiten“):
Dann stoßen wir aber im Römerbrief auf den Satz:
„Wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben,
alles zum Gute führt“ (8.28). „Alles“, das heißt doch wohl
nicht nur das uns Angenehme wie Erhalt der Gesundheit,
Wohlstand, Erfolg und Ansehen, sondern auch Krankheit,
Entbehrung, Scheitern unserer Pläne und Verachtung,
also nicht nur Freude, sondern auch Leid.
Steckt nicht hinter der anklagenden
und nie befriedigend zu beantwortenden Frage,
wie Gott denn all das Elend und Unrecht in der Welt
zulassen könne, insgeheim unsere Überzeugung,
das könne doch unmöglich zum Guten führen?
Uneingestanden halten wir uns dann für klüger als Gott,
der uns eben dies versichern läßt, dass alles zum Guten führt -
wohl mit der einzigen Ausnahme unserer eigenen Bosheit;
und selbst die führte nur zum üblen Ende,
wenn wir uns der Vergebung verweigern, ...
Gesellschaft Katholischer Publizisten Deutschlands Disclaimer,
gespeichert am 20.6.2005.
Neben dem Aspekt der Anmaßung,
der die Beziehung des Menschen zu seinem Gott betrifft,
enthält der Vorwurf, der Mensch halte sich für klüger als Gott,
einen Tatsachenaspekt:
den Aspekt der Selbstüberschätzung,
der fehlenden Einsicht in die Grenzen menschlichen Urteilsvermögens.
Das Geschöpf, das von seinem Schöpfer Rechenschaft fordert,
wird der Anmaßung beschuldigt:
9 Weh dem, der mit seinem Schöpfer rechtet, /
er, eine Scherbe unter irdenen Scherben.
Sagt denn der Ton zu dem Töpfer: /
Was machst du mit mir?,
und zu dem, der ihn verarbeitet: /
Du hast kein Geschick?
10 Weh dem, der zum Vater sagt: Warum zeugtest du mich?, /
und zur Mutter: Warum brachtest du mich zur Welt?
11 So spricht der Herr, /
der Heilige Israels und sein Schöpfer:
Wollt ihr mir etwa Vorwürfe machen wegen meiner Kinder /
und Vorschriften über das Werk meiner Hände?
Altes Testament, Jesaja 45 (Deuterojesaja),
zitiert nach der Einheitsübersetzung
Das Theodizee-Problem aufzuwerfen
wird als Anmaßung gerügt,
da der Mensch selbst nicht unschuldig sei:
Einen letzten Halt findet der leidende, zweifelnde, verzweifelte
Mensch nur im nüchternen Eingeständnis der Unfähigkeit,
das Rätsel des Leids und des Bösen enträtseln zu können.
Im ruhigen Verzicht auf die Anmaßung, als neutraler und
angeblich unschuldiger Zensor über Gott und die Welt
das Urteil sprechen zu wollen.
Hans Küng, „Christ Sein“ auf S. 357,
(5. Seite des Unterkapitels „Kein neuer Gott“ im Kapitel C.IV.2).
So zu argumentieren
ist sich selbst ein Theologe nicht zu schade,
der sonst bemerkenswerten Respekt
im Umgang mit Andersdenkenden zeigt.
Abgewiesen wird die Frage nach Erklärungen
für das Leiden des unschuldigen Menschen
am Ende des Buches Hiob („Ijob“ in der Einheitsübersetzung)
im Alten Testament.
Das ist der etwas enttäuschende Schluss eines Buches,
dessen Stärke darin besteht,
viele Aspekte des Theodizee-Problems eindringlich anzusprechen
und die Fragwürdigkeit einer Reihe von Lösungsversuchen
aufzuzeigen.
Das Buch erzählt von dem frommen Menschen Hiob,
über den plötzlich schweres Leiden hereinbricht.
Daraufhin wird Hiob von seinen Freunden
mit allerlei wohlfeilen frommen Sprüchen
„zugetextet“ (wie junge Menschen das so treffend ausdrücken).
Hiob aber widerspricht,
besteht darauf, dass er unschuldig sei,
und fordert Rechenschaft von Gott.
Darauf antwortet Gott –
ohne irgendeine Erklärung für Hiobs Leiden zu geben.
Stattdessen lässt Gott sich des Langen und Breiten darüber aus,
wie groß seine Überlegenheit gegenüber Hiob sei,
an Macht wie an Wissen.
Und Gott fragt:
Mit dem Allmächtigen will der Tadler rechten?
Der Gott anklagt, antworte drauf!
Hiob 40, 2 (Einheitsübersetzung)
Daraufhin gibt Hiob klein bei –
derselbe Hiob, der vorher so unbeirrbar
auf seinem Recht beharrt hatte.
Hiob spricht:
Siehe, ich bin zu gering. Was kann ich dir erwidern?
Ich lege meine Hand auf meinen Mund.
Einmal habe ich geredet, ich tu es nicht wieder;
ein zweites Mal, doch nun nicht mehr!
Hiob 40, 4-5 (Einheitsübersetzung)
Gott begnügt sich nicht damit, eine Erklärung zu verweigern,
er verbindet die Abweisung von Hiobs Forderung
mit einer Anschuldigung:
Willst du wirklich mein Recht zerbrechen, /
mich schuldig sprechen, damit du recht behältst?
Hiob 40, 8
laut Einheitsübersetzung;
in der Elberfelder Übersetzung weist eine Fußnote
auf folgende Möglichkeit der Übersetzung hin:
Willst du wirklich mein Urteil anfechten,
mich für schuldig erklären, damit du gerecht dastehst?
Nachdem Hiob das
und eine weitere Rede über Gottes Macht angehört hat,
macht er sich vollends klein:
... So habe ich denn im Unverstand geredet über Dinge, /
die zu wunderbar für mich und unbegreiflich sind.
...
Vom Hörensagen nur hatte ich von dir vernommen; /
jetzt aber hat mein Auge dich geschaut.
Darum widerrufe ich
und atme auf, / in Staub und Asche.
Hiob 42, 3, 5-6
(Einheitsübersetzung;
in der Übersetzung nach Luther
lautet die letzte Zeile:
„und tue Buße in Staub und Asche.“)
Immanuel Kant (1724-1804)
interpretierte Hiobs Kapitulation folgendermaßen:
Gott würdigt Hiob, ihm die Weisheit seiner Schöpfung,
vornehmlich von Seiten ihrer Unerforschlichkeit,
vor Augen zu stellen.
...
Hiob gesteht,
nicht etwa frevelhaft,
denn er ist sich seiner Redlichkeit bewusst,
sondern nur unweislich
über Dinge abgesprochen zu haben, die ihm zu hoch sind,
und die er nicht versteht.
„Über das Misslingen aller philosophischen Versuche
in der Theodizee“ (1791)
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All die Vorwürfe der Anmaßung und/oder der Selbstüberschätzung
richten sich
gegen die Mündigkeit des Menschen
in einer wichtigen Glaubensfrage.
Sie stellen eine Unmündigkeit als wünschenswert hin,
für die Immanuel Kant eine klassische Definition fand,
in seiner berühmten Antwort auf die Frage
„Was ist Aufklärung?“:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen
aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit.
Unmündigkeit ist das Unvermögen,
sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen
zu bedienen.
Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit,
wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes,
sondern der Entschließung und des Mutes liegt,
sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Sapere aude [wage es, verständig zu sein]!
Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!
ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Nach dieser Definition ist es Unmündigkeit,
wenn jemand darauf verzichtet,
im Umgang mit dem Theodizee-Problem
sich selbstständig seines eigenen Verstandes zu bedienen.
Zu untersuchen bleibt,
ob es sich, zufriedenstellenden Verstand vorausgesetzt,
um selbstverschuldete Unmündigkeit handelt –
oder ob in diesem Fall
nicht vielleicht jeder Mensch gute Gründe hat,
auf den selbstständigen Gebrauch seines Verstandes zu verzichten,
sodass diese Unmündigkeit gerechtfertigt und damit unverschuldet wäre.
Mögliche Gründe werden zweierlei vorgebracht:
Mit dem Vorwurf der Anmaßung
wird dem Menschen die moralische Legitimation abgesprochen,
sich in diesem Falle selbstständig seines Verstandes zu bedienen.
Mit dem Vorwurf der Selbstüberschätzung
wird dem Menschen die Fähigkeit abgesprochen,
durch selbständigen Gebrauch des Verstandes
zu einem Ergebnis zu kommen,
auf das er sich mit guten Gründen
mehr verlassen könnte als auf die Lehren einer Religion.
Der Vorwurf der Anmaßung
zielt auf ein Denkverbot,
das etwas anachronistisch anmutet.
Immanuel Kant, einen großen Denker der Aufklärung,
hat der Vorwurf der Anmaßung noch beschäftigt.
Er beginnt seinen berühmten Aufsatz
„Über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee“
mit den Worten:
Unter einer Theodizee versteht man die Verteidigung
der höchsten Weisheit des Welturhebers gegen die Anklage,
welche die Vernunft aus dem Zweckwidrigen in der Welt
gegen jene erhebt. – Man nennt dieses, die Sache Gottes
verfechten; ob es gleich im Grunde nichts mehr als die Sache
unserer anmaßenden, hiebei aber ihre Schranken verkennenden,
Vernunft sein möchte,
Das hindert ihn jedoch nicht, fortzufahren, dass diese Sache
... insofern aber doch gebilligt werden kann,
als (jenen Eigendünkel bei Seite gesetzt)
der Mensch als ein vernünftiges Wesen berechtigt ist,
alle Behauptungen, alle Lehre, welche ihm Achtung auferlegt,
zu prüfen, ehe er sich ihr unterwirft,
damit diese Achtung aufrichtig und nicht erheuchelt sei.
Schärfer getrennt werden die Gesichtspunkte
der „Rechtfertigung Gottes“ einerseits
und der Rechtfertigung des Glaubens an einen GottTP andererseits
in folgendem Text:
Mit Theodizee meinen wir weniger die Rechtfertigung Gottes,
etwa dass er sich uns gegenüber für die Verhängung
oder auch nur Zulassung von Übel und Leid rechtfertigen müsste –
dies von Gott zu fordern, wäre eine unverschämte Anmaßung –,
sondern im Sinne der Apologetik eher die Rechtfertigung des
Glaubens an einen Gott, von dem wir im bekannten Loblied
singen: „... der alles so herrlich regieret..., der dich erhält...,
der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet...,
in wie viel Not... über dir Flügel gebreitet",
und doch sieht die tägliche Realität oft ganz anders aus.
Gibt es diesen so besungenen Gott überhaupt?
von einer Seite der Mission der deutschen Dominikaner
gespeichert am 23.6.2005, Link nicht mehr aktiv;
im Impressum aufgeführt wird der Leiter der Missionszentrale,
P. Manfred Gerigk OP
Ob sich für diesen Glauben eine Rechtfertigung finden lässt,
an dieser Frage kommt niemand vorbei,
der Mündigkeit in Glaubensfragen
mit einer Entscheidung für diesen Glauben verbinden will.
Wenn diese Frage nun im Ernst gestellt wird,
die Frage nach der Glaubwürdigkeit
der Lehre von einem allmächtigen und gütigen GottTP,
dann zeigt sich,
dass all die Vorwürfe der Anmaßung,
all die Hinweise auf die angebliche Überlegenheit GottesTP
für die Beantwortung der Frage nichts hergeben.
All diese Vorwürfe und Hinweise mögen Menschen beeindrucken,
die von der Existenz eines so überlegenen Gottes
bereits überzeugt sind.
Wenn aber jemand im Ernst die Frage stellt,
ob die Lehre von einem solchen Gott denn glaubwürdig ist,
dann schrumpfen alle diese Hinweise
zu bloßen Behauptungen,
deren Glaubwürdigkeit erst noch zu überprüfen wäre.
Ungesicherte Behauptungen reichen nicht aus,
um den Einwand zu entkräften,
der mit dem Theodizee-Problem
gegen den Glauben an einen allmächtigen und gütigen GottTP
erhoben wird.
Jeder Versuch, mit Hilfe des Vorwurfs der Anmaßung
das Theodizee-Problem als irrelevant zu erweisen,
läuft auf eine Art Zirkelschluss hinaus.
Denn der Vorwurf der Anmaßung
als Reaktion auf das Theodizee-Problem
setzt voraus,
dass jener respektgebietende allmächtige und gütige GottTP,
um den es im Theodizee-Problem geht,
tatsächlich existieren würde.
Der Zirkelschluss sieht dann etwa so aus:
Aus der Existenz eines allmächtigen und gütigen GottesTP,
wird geschlossen,
dass die Überlegungen des Theodizee-Problems
fehlerhaft sein müssen.
Aus der Fehlerhaftigkeit der Überlegungen des Theodizee-Problems
wird geschlossen,
dass es irrelevant sei für die Frage,
ob ein allmächtiger und gütiger GottTP existiert.
Daraus wird geschlossen, dass es legitim sei,
trotz Theodizee-Problem
die Existenz eines allmächtigen und gütigen GottesTP
für möglich zu halten.
Wenn man auf diese Weise
die Existenz eines GottesTP als Voraussetzung hineinsteckt
und dann die Möglichkeit der Existenz eines GottesTP
als Ergebnis herausbekommt,
dann beweist das überhaupt nichts.
Die Voraussetzung ist so unbewiesen wie zuvor,
und das Theodizee-Problem ist so unwiderlegt wie zuvor.
Vorwürfe der Anmaßung
und Hinweise auf die – unbewiesene – Überlegenheit Gottes
können einen rational denkenden Menschen nicht davon überzeugen,
dass das Theodizee-Problem von vornherein keine Beachtung verdiene
bei der Überprüfung der Glaubwürdigkeit
der Lehre von einem allmächtigen und gütigen GottTP.
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Bleibt die Frage, ob der Mensch seine Möglichkeiten überschätzt,
wenn er sich zum Theodizee-Problem
selbstständig seine eigene Meinung bildet.
Wie weit reicht das Urteilsvermögen des Menschen?
Nicht weit, meinte Johannes Calvin.
Im Online-Lexikon Wikipedia heißt es:
Johannes Calvin (1509-1564) ging davon aus,
dass der christliche Glaube immer vernünftig ist.
Er bestand aber auch darauf,
dass der christliche Glaube oft unvernünftig scheint,
weil die menschliche Vernunft
durch Sünde und geistliche Täuschung
beeinträchtigt ist.
http://de.wikipedia.org/wiki/Apologetik Disclaimer,
gespeichert am 28.6.2005
Mit diesem generellen Misstrauensvotum an die menschliche Vernunft
hat Calvin sich aus der rationalen Diskussion weitgehend verabschiedet.
Bei Hiob (bzw. beim Autor des Buches Hiob)
und bei Immanuel Kant
gibt es kein derart generelles Misstrauensvotum.
Wohl aber gibt es die Erklärung,
dass bestimmte Dinge
unbegreiflich und für die menschliche Vernunft zu hoch seien.
Im Prinzip
ist ein partielles Misstrauensvotum dieser Art
gegenüber der menschlichen Vernunft
mit rationalem Denken vereinbar;
nicht nur das, es ist unvermeidlich:
Selbstverständlich gibt es Dinge,
von denen wir nicht genug verstehen,
um sie so gut beurteilen zu können,
dass wir unserem eigenen Urteil trauen könnten.
So richtig ein partielles Misstrauensvotum dieser Art
gegenüber der menschlichen Vernunft
im Prinzip sein mag,
so fragwürdig kann es sein,
über bestimmte Dinge zu behaupten,
der Mensch verstehe nicht genug davon,
um seinem eigenen Urteil trauen zu können.
Aus der Tatsache,
dass wir nicht von allen Dingen genug verstehen,
folgt ja keineswegs,
dass wir von einem bestimmten Ding nicht genug verstünden.
Auch nicht,
dass wir vom Theodizee-Problem nicht genug verstünden.
Ebenso wenig folgt das aus den Reden „Gottes“ im Buch Hiob,
aus seinen Hinweisen auf seine Schöpfertaten,
auf seine überlegene Macht und auf sein überlegenes Wissen.
Nichts davon könnte beweisen,
dass derselbe Gott gerecht und/oder gütig sein müsste. 2
Außerdem
sind Schöpfertaten, Macht und Wissen Gottes
als Behauptungen einer Lehre,
deren Glaubwürdigkeit es noch zu überprüfen gilt,
selbst unbewiesene Annahmen,
deren Glaubwürdigkeit es noch zu überprüfen gilt –
und damit sind sie ohne jede Beweiskraft.
So steht denn das Argument,
der Mensch verfüge nicht über das nötige Urteilsvermögen,
um hinsichtlich des Theodizee-Problems
seinem eigenen Urteil trauen zu können,
in dringendem Verdacht,
eine „Ad-hoc-Annahme“ zu sein –
ein Begriff, den Norbert Hoerster folgendermaßen erläutert:
Unter einer Ad hoc-Annahme verstehe ich eine Annahme,
die allein zu dem Zweck gemacht wird,
dass die durch sie gestützte These gerettet werden soll,
eine Annahme also, die unabhängig von dieser Funktion
als völlig willkürlich erscheinen muss.
„Unlösbarkeit des Theodizee-Problems“ Disclaimer,
gespeichert am 10.6.2005
Mit derlei Ad-hoc-Annahmen
haben die Menschen in ihrer Geistesgeschichte
schlechte Erfahrungen gemacht:
Allzu oft waren sie zur Hand,
wenn Menschen das Scheitern liebgewordener Thesen
nicht akzeptieren wollten;
allzu oft wurden sie benutzt,
das Scheitern liebgewordener Thesen zu verschleiern
und damit die Entwicklung neuer, besser begründeter Thesen
zu behindern.
Norbert Hoerster vertritt im oben zitierten Aufsatz zu Recht die Auffassung,
dass bloße Ad-hoc-Annahmen nicht geeignet sind,
das Theodizee-Problem zu „lösen“
(er meint: auf andere Weise zu lösen
als durch Aufgabe des Glaubens an einen GottTP);
vielmehr müssten die zu diesem Zweck angeführten Annahmen
um ihrer Selbst willen – also unabhängig von ihrer Funktion
im Rahmen einer Lösung des Theodizee-Problems –
Akzeptanz verdienen!
Ein weiterer Einwand gegen das Theodizee-Problem
könnte in einer Auffassung bestehen,
die heute von bedeutenden Erkenntnistheoretikern vertreten wird:
Dass der Mensch
niemals mit absoluter Sicherheit ausschließen kann,
dass er irren könnte.
Was folgt daraus?
Zweifellos,
dass der Mensch auch bei der Beurteilung des Theodizee-Problems
nicht absolut sicher sein kann, dass er nicht irrt.
Aber rechtfertigt das die Akzeptanz der Annahme,
dass der Mensch bei der Beurteilung des Theodizee-Problems
seinem eigenen Urteil nicht trauen könne?
Zu bedenken ist, was es bedeutet,
wenn Schlussfolgerungen dieser Art für legitim gehalten werden.
Dann könnte nämlich in jeder beliebigen Frage
Akzeptanz beansprucht werden für die Annahme,
der Mensch könne in dieser Frage seinem eigenen Urteil nicht trauen.
Dann ließe sich eine Annahme dieser Art
praktisch gegen alles und jedes ins Feld führen,
gegen praktisch jede These
und gegen praktisch jeden Einwand dagegen.
So könnte man praktisch jede beliebige These „immunisieren“,
unangreifbar machen gegen praktisch jeden Einwand –
und das Gegenteil praktisch jeder beliebigen These ebenso.
Das Ergebnis wäre ein totaler Skeptizismus,
die Auffassung, dass der Mensch
seinem eigenen Urteil überhaupt nicht trauen könne.
Eine solche philosophische Position ist natürlich möglich;
schon in der Antike lehrten Skeptiker
die „Unerkennbarkeit alles Bestehenden“.
Ich für mein Teil sehe jedoch keinen Grund,
aus der Feststellung,
dass wir bei den Ergebnissen unserer Beobachtungen und Überlegungen
einen Irrtum nicht mit absoluter Gewissheit ausschließen können,
den Schluss zu ziehen,
dass die Ergebnisse unserer Beobachtungen und Überlegungen
uns nicht zur Orientierung dienen könnten.
Wenn wir aufgefordert werden,
solch unzuverlässigen Ergebnissen nicht zu trauen,
dann können wir erwidern:
Hat man uns denn etwas Zuverlässigeres anzubieten,
dem wir trauen könnten?
Gläubige erklären gern, sie hätten etwas anzubieten,
das an Zuverlässigkeit nicht zu überbieten wäre:
das Wort des allmächtigen, weisen und gütigen Gottes.
Aber alles, was als „Wort Gottes“ verkündet wird,
haben wir nicht „aus erster Hand“,
sondern aus der Hand oder aus dem Munde von Menschen.
So läuft die Empfehlung,
sich der Autorität Gottes zu unterwerfen,
in der Praxis darauf hinaus,
sich der Autorität von anderen Menschen zu unterwerfen.
Auch bei diesen anderen Menschen
kann ein Irrtum nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden;
dies Problem wird man auf diese Weise nicht los.
Wo es um Religion geht,
sind Unsicherheit und Wahrscheinlichkeit eines Irrtums
sogar deutlich größer als in vielen anderen Fragen des Lebens.
Vertreter einer Offenbarungsreligion mögen behaupten,
ihre Heilige Schrift verkünde das offenbarte Wort Gottes.
Das aber ist von den verschiedensten Seiten bestritten worden:
von Vertretern anderer Offenbarungsreligionen,
von Atheisten und Agnostikern,
sowie, um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen,
von Menschen, die an einen „Gott der Philosophen“ glauben,
dem es immer fern lag, sich mündlich oder schriftlich zu offenbaren.
Wenn ein Mensch unserer Zeit und Kultur
sich in Fragen der Religion
von einer menschlichen Autorität leiten lassen will,
dann sieht er sich keiner bestimmten Vorgabe gegenüber,
sondern einer Vielfalt von Lehren und Schriften,
von Personen und Institutionen.
Damit er sich von einer Autorität leiten lassen kann,
muss eine Entscheidung fallen, von welcher.
Bei dieser Entscheidung
kann der Mensch sich wieder von einer Autorität leiten lassen –
aber wieder setzt das eine Entscheidung voraus,
von welcher Autorität er sich leiten lassen will.
Wollte ein Mensch sich bei allen seinen Entscheidungen
immer nur von Autoritäten leiten lassen,
dann würde das jedes Mal eine Entscheidung voraussetzen,
von welcher Autorität er sich leiten lassen will.
Damit würde er in einen unendlichen Regress geraten
oder in einen Zirkelschluss.
Eine rationale Entscheidung
kann also gar nicht dadurch zustande kommen,
dass jemand immer wieder
die Entscheidung, und die Verantwortung für die Entscheidung,
irgendwelchen Autoritäten überlässt.
Auf irgendeine Weise muss eine Entscheidung zustande kommen,
für die er selbst die Verantwortung trägt.
Wer eine rationale Entscheidung in Glaubensfragen will,
muss es anders machen als die Menschen,
die sich einfach an das halten, wozu sie von Kind an erzogen wurden;
aus Denkfaulheit,
aus einem irrationalen Begriff von Loyalität heraus
oder aus Angst,
weil sie sich einreden ließen, Abtrünnigen drohe eine Höllenstrafe.
Wer eine rationale Entscheidung in Glaubensfragen will,
muss es anders machen als die Menschen,
die sich von emotionalen Bedürfnissen leiten lassen,
etwa nach einem göttlichen Gegenüber,
bei dem einige Gläubige das zu finden meinen,
was sie bei den Menschen in ihrem sozialen Umfeld vermissen:
sich wirklich verstanden und akzeptiert fühlen zu können.
Wer eine rationale Entscheidung
für oder gegen eine religiöse Aussage oder Lehre will,
muss sich auf eigene Verantwortung
ein Urteil über ihre Glaubwürdigkeit bilden.
Dabei kommt er gar nicht darum herum,
seinem eigenen Verstand zu trauen:
ob er sich nun direkt
für oder gegen eine religiöse Aussage oder Lehre entscheidet
oder indirekt,
indem er sich für eine Autorität entscheidet, von der er sich leiten lässt.
Dem eigenen Verstand zu trauen
ist also nicht etwa die unzuverlässigere Alternative
zum Vertrauen in Autoritäten.
Dem eigenen Verstand zu trauen
ist die Basis einer jeden rationalen Entscheidung,
ob man nun direkt in der Sache entscheidet
oder entscheidet, welcher Autorität man vertraut.
Das muss nicht bedeuten,
dass man ein besonders großes Vertrauen zum eigenen Verstand
dogmatisch voraussetzen müsste.
Es bedeutet nur, dass der eigene Verstand
die beste Basis ist, die wir finden können;
von dieser Basis können wir ausgehen
und sehen, wie weit wir damit kommen.
Es bedeutet auch nicht,
dass wir uns zu allen Fragen ein Urteil bilden könnten.
Aber wir können uns ein Urteil darüber bilden,
wie weit wir gekommen sind
mit unserer Urteilsbildung zu einzelnen Fragen:
ob wir überhaupt keine Antwort wissen,
ob wir eine begründete Vermutung haben
oder ob wir uns unserer Sache so sicher sind,
wie ein Mensch sich eben seiner Sache sicher sein kann.
Drittens bedeutet es nicht,
dass es in jedem Fall irrational wäre,
sich von Autoritäten leiten zu lassen.
Im Gegenteil, heute mehr noch als zu Kants Zeiten gilt,
dass niemand über das gesamte Wissen seiner Zeit verfügt
und es für jeden Menschen Bereiche gibt,
in denen es für ihn vernünftig ist,
sich an das Urteil von Autoritäten zu halten,
von Experten, die für den betreffenden Bereich
überlegene Kompetenz aufzuweisen haben.
Auf diese Weise kommt man freilich nur dann direkt
zu einem rational begründeten Urteil,
wenn diese Experten sich im Wesentlichen einig sind.
Im Bereich Religion/Weltanschauung ist das nicht der Fall.
In diesem Bereich bleibt dem Menschen,
der sich ein rational begründetes Urteil bilden
und sich dabei von einer menschlichen Autorität leiten lassen will,
nur die Möglichkeit,
sich erst einmal ein eigenes rational begründetes Urteil
über die in Frage kommenden Autoritäten zu bilden,
über Einzelpersonen oder Institutionen,
über Schriften oder sonstige mehr oder weniger umfassende Lehren.
Dabei wird er feststellen,
dass Fragen, wie bestimmte Autoritäten zu beurteilen sind,
oft sehr viel schwieriger zu beantworten sind
als Fragen, wie einzelne Sachverhalte zu beurteilen sind.
Denn eine Aussage über die Vertrauenswürdigkeit einer Autorität
könnte man ansehen als eine Theorie
über die Glaubwürdigkeit der Aussagen dieser Autorität
zu einer ganzen Reihe von Sachverhalten,
meistens von Sachverhalten aus einem bestimmten Bereich.
Eine Prognose dieser Theorie,
anhand derer man eventuell die Theorie überprüfen könnte,
könnte darin bestehen,
dass eine bestimmte Aussage der Autorität
zu einem bestimmten Sachverhalt glaubwürdig sei.
Um eine Theorie zu überprüfen,
müsste man eine Reihe ihrer Prognosen überprüfen.
Im vorliegenden Fall,
wenn man die Vertrauenswürdigkeit der Autorität überprüfen will,
müsste man die Glaubwürdigkeit
einer Reihe von Aussagen der Autorität zu bestimmten Sachverhalten
überprüfen;
und dazu müsste man sich über die Sachverhalte selbst ein Urteil bilden.
Wenn ein Mensch sich ein Urteil über die Sachverhalte nicht zutraut,
wie sollte er sich dann
ein Urteil über die Vertrauenswürdigkeit der Autorität zutrauen können?
Wer bei den wichtigsten grundlegenden Entscheidungen
in Fragen der Religion oder Weltanschauung
seinem eigenen Urteil nicht traut
und vor dieser Unsicherheit bei einer Autorität Zuflucht sucht,
gerät vom Regen in die Traufe.
Dem Ziel,
Unsicherheiten so gering wie möglich zu halten,
kommt man am nächsten auf dem Wege,
den Kant mit seinem „Wahlspruch der Aufklärung“
vorgezeichnet hat:
sich selbst ein Urteil zu bilden,
wo man über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten verfügt.
Seinem eigenen Urteil zu trauen,
das kann heißen,
dass man in bestimmten Fällen zu dem Urteil kommt:
„Ich weiß es nicht.“
Religiöse Lehren, die ein „Ich weiß es nicht“ nicht akzeptieren
bzw. als ein „Nein“ interpretieren,
erweisen sich daher als irrational und unfähig,
auf die Gegebenheiten dieser Welt sachgerecht zu reagieren.
Seinem eigenen Urteil zu trauen
kann aber auch heißen,
dass man in bestimmten anderen Fällen zu dem Urteil kommt,
man sei qualifiziert genug,
um sich ein eigenes Urteil zu bilden
und sich dabei seiner Sache so sicher zu sein,
wie ein Mensch sich eben seiner Sache sicher sein kann.
Um in diesen Fällen seiner Sache so sicher zu sein,
muss man sich nicht für klüger halten als andere Menschen.
Man muss sich nicht einmal für ebenso klug halten.
Wie viel 2 mal 0,37 ist,
das kann ein Milchmädchen so gut beurteilen
wie der klügste Mathematik-Professor.
Deshalb ist es völlig unbegründet,
wenn P. Albert Keller SJ den Vorwurf erhebt,
ein Mensch halte sich für „klüger als Gott“,
wenn er das Theodizee-Problem
als unbestreitbare Widerlegung
der Lehre vom allmächtigen und gütigen GottTP ansieht.
Dass der Mensch sehr wohl urteilen könne,
wenn es um sein eigenes Leiden geht,
diese Ansicht hat in einer Predigt zum Ende des Buches Hiob
die evangelische Theologin Dorothee Sölle engagiert vertreten:
... als wäre Macht je ein Argument!
...
Kann denn Hiob überhaupt den Anspruch erheben,
Gottes Handeln richtig zu beurteilen ?
Dass das nicht der Fall ist, führt ihm Gott vor Augen,
indem er ihm eine Anzahl von Fragen vorlegt,
die sich alle auf die Schöpfung beziehen,
erst auf die leblose Natur, dann auf die Tiere.
Kann ein Mensch solche Vorgänge verstehen?
Hat er etwas dazu zu sagen, kann er diese Vorgänge,
die in poetisch schöner Sprache benannt werden,
überhaupt begreifen? Kann er Gott beurteilen?
Der Verfasser des Hiobbuches scheint das für Anmaßung,
für Arroganz zu halten.
Aber Hiob hat nicht über die Entstehung der Meere gesprochen
nicht über Wind, Schnee oder Regen,
sondern über das, was Gott ihm angetan hat an Leid und Schmerz.
Fastenpredigt am 6. April 2003,
gespeichert am 19. Juni 2005
Zudem geht der Vorwurf von P. Albert Keller SJ,
jemand halte sich für „klüger als Gott“,
ein Stück weit am Theodizee-Problem vorbei.
Wer dies Problem vorbringt,
will in aller Regel ja gar nicht darauf hinaus,
dass der allmächtige Gott nicht wüsste,
was zum Guten führt;
in aller Regel will er eher auf Zweifel hinaus,
ob der allmächtige Gott – sofern er überhaupt existiert – denn gütig,
d. h. motiviert sei,
dafür zu sorgen, dass alles zum Guten führt.
Die Frage der Beweislast
wirft Rolf Puster auf,
in der Meinung, so mit Hilfe der modernen Erkenntnistheorie
das Theodizee-Problem
als Einwand gegen den Glauben an einen GottTP
entkräften zu können:
Normalerweise wird ... dem Theisten die Beweislast aufgebürdet.
Rolf Puster hat in seinem Aufsatz nun genau diese,
in der gegenwärtigen Theodizee-Debatte meist vorausgesetzte
Beweislastannahme genauer untersucht, mit dem Ergebnis,
dass der Skeptiker es sich in diesem Argumentationsstreit
zu leicht macht.
Das liege vor allem daran, dass er eine der Grundannahmen,
nämlich, „es gibt Übel in der Welt“ – die der Theist ja gar nicht
leugnet –, verändert, indem er sie präzisiert, im Sinne von
„es gibt ungerechtfertigtes Leid in der Welt“.
Das Adjektiv „ungerechtfertigt“ könne aber bedeuten:
„ist (bisher noch) nicht gerechtfertigt“.
Dann wäre die Position des Theisten nicht so aussichtslos.
Eine zweite mögliche Bedeutung ist aber:
Es gibt Leid in der Welt, „das zu rechtfertigen unmöglich ist“.
Um also einen Widerspruch in den theistischen Grundannahmen
nachweisen zu können,
handle sich der Skeptiker die Beweislast
für eine Unmöglichkeitsbehauptung ein.
Dieser Beweis, so Puster,
sei aber weder logisch noch empirisch zu führen.
„Ein Leid mag so groß sein wie es wolle – es gehört nicht
zu seinen begrifflichen Merkmalen, nicht rechtfertigbar zu sein.“
Aber auch ein abgeschwächter, empirischer Unmöglichkeitsbegriff
verhelfe nicht zu einem überzeugenden Beweis, denn
„es ist nicht zu sehen, welche Naturgesetze es verbieten könnten,
großes Leid zu rechtfertigen“.
Bleibe dem Skeptiker nur noch, drastische Beispiele
menschlichen Leides zu präsentieren.
Aber auch dieser Versuch schlage fehl,
denn der Theist könne für alle diese Fälle zugeben,
dass er keine Ahnung habe,
wie das jeweilige Leid zu rechtfertigen wäre.
Daraus folge aber keineswegs,
dass eine derartige Rechtfertigung definitiv unmöglich sei.
Der Streit zwischen dem Theisten und dem Skeptiker
ende somit in einem argumentativen Patt.
Puster zieht daraus den Schluss, dass
„die Existenz Gottes mit den Mitteln rationaler Argumentation
weder positiv noch negativ zu entscheiden“ sei.
Bericht der Frankfurter Rundschau vom 14.11.2000
über einen Artikel in der Zeitschrift Logos (3/1999)
Selbstverständlich gehört es nicht zu den „begrifflichen Merkmalen“
des Leides, dass es in jedem Fall unmöglich zu rechtfertigen wäre.
Es ist nicht in jedem Fall unmöglich zu rechtfertigen,
dass jemand einem Menschen Leid oder Schmerz zufügt.
So ist es gerechtfertigt, dass ein Arzt einem Patienten Schmerz zufügt,
wenn er keine andere Möglichkeit hat,
sein Leben zu erhalten
oder ihn vor schlimmeren Gesundheitsschäden zu bewahren.
Die Frage ist aber, ob mit einer solchen Argumentation
auch das von einem allmächtigen GottTP zugefügte Leid
gerechtfertigt werden könnte.
Und selbstverständlich gibt es kein Naturgesetz,
das es verbieten könnte, großes Leid zu rechtfertigen.
„Rechtfertigung“ ist kein Begriff der Naturwissenschaft,
sondern ein Begriff der Ethik.
Ethische Aussagen können niemals
durch Beobachtungen und Schlussfolgerungen allein
begründet werden;
Beobachtungen und Schlussfolgerungen allein
lassen uns nur erkennen, was ist –
nicht aber, was sein soll.
Vorstellungen davon, was sein soll, sind die Voraussetzung
für jedes ethische Urteil,
für jedes Urteil darüber, was gerechtfertigt werden kann und was nicht.
Vorstellungen davon, was sein soll,
wurden in den verschiedensten Kulturen entwickelt;
sie sind Produkte von menschlicher Kultur.
Trotzdem braucht man in ihnen nicht in jedem Fall
Produkte von purer Willkür und achtloser Beliebigkeit zu sehen.
In hochentwickelten Kulturen diskutieren Menschen mit großem Ernst
über verschiedene Soll-Vorstellungen
und bilden sich anhand von Argumenten ein Urteil darüber,
welche Soll-Vorstellungen sie akzeptieren können und welche nicht.
Nicht aufgrund von
Beobachtungen und Schlussfolgerungen allein,
wohl aber aufgrund von
Beobachtungen und Sollvorstellungen und Schlussfolgerungen
kann der Mensch zu dem Urteil kommen,
dass ein bestimmtes schweres Leiden ungerechtfertigt sei,
ja, dass „es zu rechtfertigen unmöglich“ sei.
Dazu meint nun Rolf Puster,
der Mensch könne nur feststellen,
dass ein bestimmtes schweres Leiden
„(bisher noch) nicht gerechtfertigt“ sei,
nicht aber,
„dass eine derartige Rechtfertigung definitiv unmöglich sei.“
Richtig ist, dass derjenige, der eine Unmöglichkeitsbehauptung aufstellt,
sich damit die Beweislast einhandelt.
Aber welche Art von Beweis kann denn verlangt werden?
Ein „definitiver“ Beweis im strengen Sinne
ist nach bestimmten philosophischen Auffassungen
überhaupt nicht möglich;
beispielsweise schließt der Kritische Rationalismus,
in dessen Tradition ich mich sehe,
einen konsequenten Fallibilismus ein.
Besondere Gründe,
einen „definitiven“ Beweis im strengen Sinne
für unmöglich zu halten,
gibt es bei allen Unmöglichkeitsbehauptungen,
die etwas mit Beobachtungen der Realität zu tun haben.
Etwa bei den Naturgesetzen.
Sie sind logisch äquivalent zu Unmöglichkeitsbehauptungen:
Ihre gewohnte Formulierung, etwas müsse immer so und so sein,
ist logisch äquivalent
zu der Formulierung, es könne nie anders sein.
Für Naturgesetze haben wir keinen „definitiven“ Beweis.
Wir können nicht „definitiv“ beweisen,
dass sie auch da gelten, wo das noch niemand nachgeprüft hat.
Wir können nicht „definitiv“ beweisen,
dass sie auch in Zukunft weiterhin gelten werden.
Was wir können, ist viel bescheidener:
Wir können naturwissenschaftliche Theorien
einer „strengen Überprüfung“ unterziehen.
Was, nach Karl Popper, eine Überprüfung ist,
durch die ein Fehler der Theorie (falls es einen gibt)
mit hoher Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könnte.
Wenn eine Theorie
eine solche strenge Überprüfung überstanden hat,
ohne dass ein Fehler festgestellt wurde,
dann darf sie – vorläufig – als „bewährt“ gelten.
Naturgesetze
sind nichts anderes als naturwissenschaftliche Theorien,
die besonders gründlich und besonders streng überprüft wurden
und danach in besonderem Maße als bewährt gelten können.
Naturgesetze
sind nur vorläufig bewährt, nicht definitiv bewiesen.
Trotzdem rechnet niemand im Ernst mit der Existenz von Dingen,
die nach bewährten Naturgesetzen unmöglich sind.
Kaum jemand dürfte ein „argumentatives Patt“ annehmen
zwischen Menschen, die an die Existenz solcher Dinge glauben,
und Menschen, die die Existenz solcher Dinge für unmöglich halten.
Auf die Idee, es könnte ein „argumentatives Patt“ geben
zwischen einer bewährten Theorie
und dem Hinweis, dass diese Theorie nicht definitiv bewiesen sei,
scheinen Menschen mit Vorliebe dann zu verfallen,
wenn es um die Existenz Gottes geht.
Das Theodizee-Problem
als Theorie der Nicht-Existenz
eines allmächtigen und gütigen GottesTP
kann als eine bewährte Theorie angesehen werden.
Denn Generationen von Theologen und gläubigen Philosophen
haben sich abgemüht, einen Fehler in dieser Theorie nachzuweisen,
und haben nichts Überzeugendes gefunden.
(mehr dazu in Theodizee 3. Teil)
|
In eine völlig andere Richtung zielt der Vorwurf von Hans Küng,
mit dem Aufwerfen des Theodizee-Problems
nehme der Mensch für sich in Anspruch,
ein „angeblich unschuldiger Zensor“ zu sein,
der „über Gott und die Welt das Urteil sprechen“ wolle.
Aber stimmt es denn,
dass jemand, der das Theodizee-Problem aufwirft,
damit für sich in Anspruch nimmt, unschuldig zu sein?
Müsste er sich dazu denn für unschuldig halten?
Hans Küng scheint das anzunehmen;
wie sonst könnte er behaupten,
jemand, der das Theodizee-Problem aufwirft, halte sich für unschuldig?
Jedoch kaum jemand, der dies Problem aufwirft,
hat, wie der Hiob der Bibel, ausdrücklich erklärt, dass er unschuldig sei.
Wer das Theodizee-Problem aufwirft,
bildet sich das Urteil oder hegt zumindest den dringenden Verdacht,
dass ein allmächtiger Gott – sofern er existiert – nicht gütig sei.
Eine Anschuldigung, die nur äußern könnte, wer sich für unschuldig hält?
Hier sind zwei Dinge zu unterscheiden,
die im Sprachgebrauch oft eng miteinander verquickt sind:
• Etwas Unerfreuliches festzustellen, ist das eine;
• es jemandem vorzuwerfen, ist das andere.
Um etwas zutreffend festzustellen, und sei es etwas Unerfreuliches,
braucht der Mensch die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten –
besondere moralische Qualitäten braucht er dazu nicht.
Man braucht kein ehrlicher Mensch zu sein, um festzustellen,
dass jemand anders gestohlen hat.
Das eigene Verhalten kommt erst dann ins Spiel,
wenn jemand einen Vorwurf erheben will:
dann müsste er sich in der Tat fragen lassen,
ob er selbst es denn besser macht.
Nicht um Vorwürfe,
sondern um die Überprüfung der Glaubwürdigkeit einer religiösen Lehre
geht es vielen, die das Theodizee-Problem aufwerfen.
Dafür brauchen sie nicht unschuldig zu sein,
dafür brauchen sie sich nicht für unschuldig zu halten.
Sie brauchen sich auch nicht für unschuldig zu halten,
um sich ein Urteil in der Frage zuzutrauen,
ob ein allmächtiger Gott, falls es ihn gibt, gütig genannt werden kann.
Eigenes Fehlverhalten ist kein Grund,
an den dazu erforderlichen Kenntnissen und Fähigkeiten zu zweifeln.
Wenn ein Mensch es an Güte fehlen lässt,
dann besteht kein Grund zu der Annahme,
dass er nicht wüsste, was Güte ist.
Schließlich gibt es eine viel plausiblere Erklärung für sein Verhalten,
nämlich, dass er gar nicht den Wunsch hat,
mehr Güte zu praktizieren.
Mit der Begründung, dass die Menschen selbst nicht besser seien,
mag man ihnen das Recht absprechen,
Gott Mangel an Güte vorzuwerfen.
Aber das wäre kein Hindernis,
solchen Mangel an Güte festzustellen.
Kein Hindernis, sich eine Meinung darüber zu bilden,
was über die Güte eines allmächtigen Gottes gesagt werden kann:
ob man zu dem Schluss kommen muss,
dass es einem allmächtigen Gott, sofern es ihn gibt, an Güte mangelt.:
Das Ergebnis dieser Meinungsbildung
brauchen Menschen nicht davon abhängig zu machen,
wie gütig oder wie unschuldig sie sind.
Im Gegenteil, das wäre unvernünftig:
Von menschlichen Unzulänglichkeiten wird kein Gott gütig,
und keine Lehre darüber wird wahr.
Hans Küngs Unterstellung,
dass Menschen, die das Theodizee-Problem aufwerfen,
damit für sich in Anspruch nähmen, unschuldig zu sein,
entbehrt jeder Grundlage.
Womit, das sei hier nur am Rande bemerkt,
noch nichts zu der Frage gesagt ist,
ob jeder, der für sich in Anspruch nimmt, unschuldig zu sein,
nur „angeblich“ unschuldig ist oder vielleicht tatsächlich.
Für Hans Küng scheint das Urteil festzustehen.
Er meint offenbar,
er dürfe einen beliebigen anderen Menschen für schuldig erklären,
ohne weiteres, ohne irgendetwas Näheres über ihn zu wissen.
Ganz schön gewagt für einen,
der es unternimmt, anderen Anmaßung vorzuwerfen.
|
Appell an das Gottvertrauen
Glaube und Vertrauen
gehören nach dem Verständnis von vielen Gläubigen zusammen.
... Und doch ist Glauben ein wahrhaft menschlicher Akt.
Es widerspricht weder der Freiheit noch dem Verstand
des Menschen, Gott Vertrauen zu schenken und
den von ihm geoffenbarten Wahrheiten zuzustimmen.
Schon in den menschlichen Beziehungen
verstößt es nicht gegen unsere Würde,
das, was andere Menschen uns über sich selbst
und ihre Absichten sagen, zu glauben,
ihren Versprechen Vertrauen zu schenken
(z. B. wenn ein Mann und eine Frau heiraten)
und so mit ihnen in Gemeinschaft zu treten.
Folglich verstößt es erst recht nicht gegen unsere Würde,
„dem offenbarenden Gott im Glauben
vollen Gehorsam des Verstandes und des Willens zu leisten“
(1. Vatikanisches K.: DS 3008)
und so in enge Gemeinschaft mit ihm zu treten.
Katechismus der Katholischen Kirche, Absatz 154
So kann das emotional positiv besetzte Wort „Vertrauen“
eingesetzt werden, um für einen Glauben zu werben.
Auch für einen Glauben trotz Theodizee-Problem.
Wie das aussehen kann,
möchte ich an einigen Äußerungen von Hans Küng aufzeigen,
aus seinem Buch „Christ sein“.
Hans Küng ist ein katholischer Theologe, der weithin als progressiv gilt;
jemand, der sich für kritische Äußerungen zur Unfehlbarkeit des Papstes
einen Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis eingehandelt hat (1979).
In einem Punkt stimmt er hingegen völlig überein
mit der offiziellen Lehre seiner Kirche,
mit der traditionellen christlichen Lehre:
Gott ist für ihn
der ... allmächtige und allgütige Gott
„Christ sein“, S. 520;
diese Seitenangabe bezieht sich auf ein dtv-Taschenbuch,
alle folgenden Seitenangaben für „Christ sein“ ebenso 3
Hans Küng ist das Theodizee-Problem wohlbekannt,
er spricht es an auf S. 357
und referiert es auf S. 521 in „Christ sein“.
Und er weiß von Kants Aufsatz
„über das Misslingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee“
(S. 521).
Küng versucht denn gar nicht erst, inhaltlich zu begründen,
warum ein „allmächtiger und allgütiger“ GottTP
all das menschliche Leiden wollen
oder zumindest geschehen lassen wollen könnte.
Er gibt zu, dass er keine Begründung hat:
Durch Leiden soll der Mensch zum Leben gelangen.
Warum das so ist,
warum das für den Menschen gut und sinnvoll ist,
warum es nicht ohne Leid besser ginge,
das kann keine Vernunft erweisen.
S. 528
Eine solche Begründung sei gar nicht erforderlich,
erklärt Küng gleich im nächsten Satz:
Das kann aber vom Leiden, Sterben und neuen Leben Jesu
im Vertrauen auf Gott
schon in der Gegenwart als sinnvoll angenommen werden,
in der Gewissheit der Hoffnung
auf ein Offenbarwerden des Sinnes in der Vollendung.
Das entscheidende Argument ist hier
das Vertrauen auf Gott.
Erst in diesem Vertrauen findet der Gläubige die Grundlage,
auf der er der Ankündigung trauen zu können glaubt,
dass es ein „Offenbarwerden des Sinnes“
irgendwann wirklich geben werde.
So kann diese Ankündigung vielleicht die Wirkung erzielen,
Glauben und Vertrauen psychologisch zu stabilisieren.
Sie kann aber kein rationales Argument
zugunsten von Glauben und Vertrauen liefern:
– Wo Glaube und Vertrauen nicht vorausgesetzt werden,
da ist diese Ankündigung nur eine bloße Behauptung,
ohne Begründung und damit ohne Beweiskraft.
– Wo aber Glaube und Vertrauen vorausgesetzt werden
und daraus auf die Glaubwürdigkeit der Ankündigung
geschlossen wird,
da würde jeder Versuch,
die Ankündigung
zur Begründung von Glauben und Vertrauen heranzuziehen,
zu einem Zirkelschluss führen,
der nichts beweist.
Ähnliches gilt für Küngs Hinweis
auf Jesu Leiden, Sterben und „neues Leben“.
Dieser Hinweis
mag für einen Christen sehr eindrucksvoll und emotional bewegend sein,
wenn er im Leiden und Sterben Jesu
eine Tat der unermesslichen Liebe Gottes sieht
und in Jesu „neuem Leben“ eine Realität.
Es bleibt jedoch wenig Eindrucksvolles übrig,
wenn man von „Jesu Leiden, Sterben und neuem Leben“
all die Behauptungen und Deutungen hinwegnimmt,
die auf religiösen Lehren beruhen,
deren Glaubwürdigkeit erst noch zu überprüfen wäre.
Von Jesu „neuem Leben“
bleibt bestenfalls ein symbolischer Ausdruck
für etwas, was Christen gern in die Worte fassen:
„Die Sache Jesu geht weiter.“
Ob es wirklich „die Sache Jesu“ ist,
die in der Christenheit weitergegangen ist,
das sei dahingestellt.
Der historische Erfolg einer Lehre
sagt ohnehin nicht viel über ihren Wahrheitsgehalt.
Von Jesu Leiden und Sterben
bleibt, wenn man es von religiösen Deutungen entkleidet,
einfach nur das Leiden und Sterben eines Menschen,
so traurig wie das Leiden und Sterben vieler anderer Menschen
und ohne erkennbaren Sinn.
Bringt man Jesu Leiden und Sterben in Verbindung
mit der Lehre vom allmächtigen und gütigen GottTP,
dann erhält man kein Argument gegen das Theodizee-Problem,
sondern im Gegenteil
das Theodizee-Problem in Miniaturausgabe:
Warum sollte ein allmächtiger und gütiger GottTP gewollt haben,
dass Jesus so qualvoll leiden und sterben musste?
(mehr dazu in:
Warum musste Jesus leiden? Kritische Überlegungen ...)
Nach Küng wie nach der Bibel 4
soll Gott dies Leiden und Sterben Jesu
nicht nur passiv geschehen lassen haben,
sondern geplant und aktiv ins Werk gesetzt haben.
Es handelte sich demnach nicht einfach um unterlassene Hilfeleistung,
sondern um Misshandlung und Tötung.
Das wäre ein Verhalten,
das normalerweise ganz und gar nicht vertrauenerweckend ist.
Erst recht nicht,
wenn der Misshandelte und Getötete ein Mensch ist,
der diesem Gott besonders nahe steht,
ja der als „Sohn“ dieses Gottes bezeichnet wird;
was nach Küng zwar ein „Bildbegriff“ ist, aber ein bedeutungsvoller:
Mit all diesen Bildbegriffen soll sowohl das einzigartige Verhältnis
des Vaters zu Jesus und Jesu zum Vater ausgedrückt werden ...
„Christ Sein“, S. 541,
Unterkapitel „Wahrer Gott und wahrer Mensch“
in Kapitel C.VI.3
So ist ein solches Verhalten nicht geeignet,
zur Begründung jenes „Vertrauens auf Gott“ beizutragen,
von dem Küng spricht.
Umgekehrt, man braucht eine Menge Vertrauen auf Gott
und eine Menge Vertrauen in ein ganzes Geflecht von religiösen Dogmen,
um ein solches Verhalten
als „gerechtfertigt“ akzeptieren zu können
oder darin gar etwas Positives sehen zu können:
das wird ... vom auferweckten Gekreuzigten her
definitiv offenbar und gewiss:
Auch das Leiden ist von Gott umfangen,
auch das Leid kann bei aller Gottverlassenheit
Ort der Gottbegegnung werden!
Der Glaubende weiß keinen Weg am Leid vorbei,
aber er weiß einen Weg hindurch: ...
Mit dem Blick auf den einen Leidenden
in glaubendem Vertrauen auf den,
der auch und gerade im Leid verborgen anwesend ist
und der selbst in äußerster Bedrohung, Sinnlosigkeit, Nichtigkeit,
Verlassenheit, Einsamkeit und Leere den Menschen trägt und hält:
ein Gott, der als Mit-Betroffener neben den Menschen steht,
ein Gott solidarisch mit den Menschen.
Kein Kreuz der Welt kann das Sinn-Angebot widerlegen,
das im Kreuz des zum Leben Erweckten ergangen ist.
...
Nicht ein angstmachender theokratischer Gott „von oben“,
sondern ein menschenfreundlicher mit-leidender Gott
„mit uns unten“.
„Christ Sein“, S. 528 f;
Hervorhebung durch fette Schrift von I. N.
Eine sonderbare „Solidarität“,
die darin bestehen soll,
dass, statt dem Leiden abzuhelfen,
„verborgene Anwesenheit“ und „Mit-Leiden“ angeboten werden soll!
Nähe und Mitgefühl anzubieten
kann einen guten Sinn haben,
wo der Mensch keine Möglichkeit zur Abhilfe hat
oder seine Möglichkeiten ausgeschöpft hat.
Aber welcher mitfühlende Mensch
käme wohl auf die Idee,
mitzuleiden wäre besser als Abhilfe zu schaffen?
Welcher schwer leidende Mensch
könnte es wohl als „Solidarität“ begreifen,
wenn irgendein Neunmalgescheiter
sich über seinen dringendsten Wunsch hinwegsetzen würde
und ihm statt der ersehnten Abhilfe,
die er leicht und ohne problematische Nebenwirkungen schaffen könnte,
sein Mit-Leiden anbieten würde?
Wer hätte überhaupt Interesse am Mitgefühl von jemandem,
der sich so wenig um das kümmert, was ein leidender Mensch ersehnt?
Ein allmächtiger Gott könnte vielen Leiden abhelfen,
leicht und ohne problematische Nebenwirkungen,
beispielsweise in Fällen von schweren körperlichen Schmerzen.
Wenn er diese Abhilfe verweigert
und es vorzieht, „mit uns unten“ mitzuleiden,
dann ist das keine Solidarität,
die zum Vertrauen auf diesen Gott einlädt.
Auch Leidensbereitschaft als solche
lädt nicht zum Vertrauen ein.
Wenn jemand ohne erkennbaren vernünftigen Grund
sich selbst Leiden zufügt,
dann halten wir das gewöhnlich
nicht für ein Zeichen besonderer Vertrauenswürdigkeit,
sondern für ein Zeichen einer schweren psychischen Störung.
Sollte ein allmächtiger Gott masochistisch sein,
dann kann er sich selbst
unsertwegen so viel Leiden zufügen, wie er mag;
aber wenn er uns Menschen gegen unseren Willen da mit hineinzieht,
dann ist das ein klarer Fall von Mangel an Güte.
Weder die Gott zugeschriebene Leidensbereitschaft
noch die von Küng beschriebene sonderbare „Solidarität“
ist geeignet,
zur Begründung von „Vertrauen auf Gott“ beizutragen.
Auch hier ist es umgekehrt:
Man braucht eine Menge Vertrauen auf Gott
und eine Menge Vertrauen in religiöse Dogmen,
um darin etwas Positives sehen zu können.
Auf den Seiten 528-529 in „Christ sein“
beruht denn Küngs ganze Argumentation auf einer Voraussetzung:
dem Vertrauen auf Gott
und auf die Wahrheit eines ganzen Geflechts von religiösen Dogmen.
Ob aber ein solches Vertrauen
auf Gott und auf die Wahrheit all dieser religiösen Dogmen
begründet ist,
das eben ist die Frage, die erst noch zu prüfen ist,
wenn jemand sich ein Urteil bilden will
über die Glaubwürdigkeit der Lehre vom allmächtigen und gütigen GottTP.
Für dies Vertrauen macht Küng denn auch eifrig Stimmung.
Auf S. 357 in „Christ sein“ lässt er seinem Versuch,
das Aufwerfen des Theodizee-Problems als „Anmaßung“ zurückzuweisen,
zunächst den Versuch folgen,
kritisches Fragen als – vermeintlich unverdientes – „Misstrauen“
in Misskredit zu bringen:
In der entschiedenen Ablehnung
eines auch nur leisen und unausgesprochenen Misstrauens,
als ob der gute Gott dem Menschen nicht wahrhaft gut sei.
Als ob der Mensch nicht allen Grund hätte zu bezweifeln,
dass ein allmächtiger Gott, sofern es ihn gibt,
dem Menschen „wahrhaft gut“ wäre.
Als ob es nicht genug Menschen gäbe, denen es so schlecht geht,
wie es ihnen niemand wünschen könnte, der ihnen wahrhaft gut wäre.
Misstrauen gegenüber der Behauptung,
dass es einen „guten Gott“ gebe, der „dem Menschen wahrhaft gut sei“,
ist nur zu berechtigt.
Allerdings, ob berechtigt oder unberechtigt, stört ein solches Misstrauen
die Art von Beziehung des Menschen zu Gott,
die Küng als Ideal vorschwebt:
In jenem gewiss ungesicherten und doch befreienden Wagnis,
dem unbegreiflichen Gott in Zweifel, Leid und Schuld,
in aller inneren Not und allem äußeren Schmerz,
in aller Angst, Sorge, Schwäche, Versuchung,
in aller Leere, Trostlosigkeit, Empörung
einfach und schlicht
ein unbedingtes und restloses Vertrauen entgegenzubringen.
Ja, ihm sogar in äußerst verzweifelter Situation,
wenn alles Gebet erstirbt und man zu keinem Wort fähig ist,
sich einfach leer und ausgebrannt hinzuhalten:
ein Grundvertrauen allerradikalster Art,
das Zorn und Empörung nicht äußerlich beschwichtigt,
sondern umfängt und umgreift
und das auch Gottes bleibende Unbegreiflichkeit erträgt.
S. 357
Diese Haltung
des „unbedingten“ und „restlosen“ Vertrauens,
der „entschiedenen Ablehnung“ jedes Misstrauens
bedeutet eine radikale Absage
an das kritische Denken in bestimmten Bereichen,
an das rationale Denken in diesen Bereichen.
Nicht dass Vertrauen immer irrational wäre.
Zu Recht wird im Katechismus der Katholischen Kirche
auf ein Vertrauen hingewiesen,
das in vielen Fällen mit rationalem Denken vereinbar ist:
z. B. wenn ein Mann und eine Frau heiraten
Absatz 154
Dieser Vergleich hinkt freilich gerade da, wo er etwas zeigen soll.
Bei einer Heirat
geht es nicht um
vollen Gehorsam des Verstandes und des Willens,
wie er
dem offenbarenden Gott im Glauben ... zu leisten
angeblich
nicht gegen unsere Würde (verstößt).
Katechismus der Katholischen Kirche, Absatz 154
Bei einer Heirat
käme auch kein vernünftiger Mensch auf die Idee,
vom Partner anzunehmen oder gar darauf zu vertrauen,
dass der,
wie es im Katechismus der Katholischen Kirche von Gott heißt,
weder sich täuschen noch täuschen kann
Absatz 156
Kein vernünftiger Mensch käme auf die Idee,
seinem Ehepartner so „unbedingt“ und „restlos“ zu vertrauen,
dass er deswegen das eigene Denken für überflüssig halten könnte.
Oder gar,
dass er dann, wenn er mit seinem eigenen Denken
zu anderen Ergebnissen kommt als sein Partner,
vor lauter Vertrauen
die Ergebnisse seines eigenen Denkens für falsch halten müsste.
So geht das Vertrauen auf Gott,
wie es im Katechismus der Katholischen Kirche
und von Küng gepredigt wird,
weit über das hinaus,
was bei einer Heirat üblich ist und für vernünftig gehalten werden kann.
Um ein so weitgehendes Vertrauen zu rechtfertigen,
wären sehr schwerwiegende Gründe erforderlich.
Eine Aussage wie die, dass Gott
weder sich täuschen noch täuschen kann
Katechismus der Katholischen Kirche, Absatz 156
könnte einen solchen Grund liefern,
wenn ihre eigene Glaubwürdigkeit feststünde.
Nicht jedoch,
solange es noch darum geht,
die Glaubwürdigkeit derjenigen Lehre zu überprüfen,
zu der eine Aussage wie diese gehört.
Bleibt die Frage, ob großes Vertrauen auf Gott
auf die gleiche Weise rational gerechtfertigt werden kann
wie Vertrauen zu einem menschlichen Gegenüber,
z. B. zum künftigen Ehepartner:
durch die Erfahrungen,
die man mit dem jeweiligen Gegenüber machen konnte,
dadurch, dass man sein jeweiliges Gegenüber
als vertrauenswürdig erlebt hat.
Was Gott betrifft,
hat man nun aber gerade nicht die Erfahrung gemacht,
dass er tun würde,
was von einem allmächtigen und gütigen GottTP zu erwarten wäre:
Menschen und Tiere vor schwerem Leiden bewahren.
Mit dem Theodizee-Problem
hat man einen schwerwiegenden Grund,
eben nicht so „unbedingt“ und „restlos“ auf Gott zu vertrauen,
wie Küng das empfiehlt.
Im ersten Hauptabschnitt seines Buches „Christ sein“
hat Küng für seinen Glauben in Anspruch genommen:
Der Gottesglaube lässt sich gegenüber einer rationalen Kritik
rechtfertigen. ...
(Er ist) eine begründete, wirklichkeitsbezogene
und so im konkreten Leben rational verantwortete Entscheidung.
„Christ sein“, S. 83,
vorletzte Seite des Unterkapitels „Die Wirklichkeit“
im Kapitel A.II.2.
Diesen Anspruch hält Küng jedoch nicht durch,
wo es um das Theodizee-Problem geht.
Er versucht gar nicht,
seinen Glauben gegenüber der rationalen Kritik,
die mit dem Theodizee-Problem gegeben ist,
auf rationale Weise zu rechtfertigen.
Er sucht nicht nach rationalen Argumenten,
um die Argumentation,
dass die Lehre vom allmächtigen und zugleich gütigen Gott
widerlegt sei durch all das Leiden in dieser Welt,
in der Sache zu entkräften.
Stattdessen lenkt er die Aufmerksamkeit auf andere Dinge:
auf die Qualität der Beziehung des Christen zu seinem Gott
und darauf,
welche positiven Auswirkungen auf das Leben des Christen
angeblich zu erwarten wären,
wenn seine Beziehung zu seinem Gott
von „unbedingtem und restlosem“ Vertrauen geprägt wäre.
Damit meint Küng,
ein Argument gegen das Theodizee-Problem zu haben –
nicht, um es in der Sache zu entkräften,
sondern um es für irrelevant zu erklären und beiseite zu schieben.
Das Beiseiteschieben eines Problems,
das geeignet ist, die eigene Auffassung zu widerlegen,
bedeutet jedoch einen – zumindest partiellen –
Abschied vom rationalen Denken.
Um das „ungesicherte und doch befreiende Wagnis“
des „unbedingten und restlosen Vertrauens“
schmackhaft zu machen,
verspricht Küng viel:
Darin finde „der leidende, zweifelnde, verzweifelte Mensch“
einen „letzten Halt“,
damit lasse sich das Leid „zwar nicht »erklären«, aber bestehen““.
(„Christ sein“, S. 357)
und an anderer Stelle verweist Küng auf ein „Sinn-Angebot“,
von dem er rühmt, „kein Kreuz der Welt“ könnte es widerlegen.
(„Christ Sein“, S. 528 f)
Wie eine solche Argumentation aufgenommen wird,
darüber darf man sich ein wenig wundern:
Wie viele Christen bereit sind,
ein „ungesichertes Wagnis“
für etwas Wünschenswertes, ja Großartiges zu halten.
Wie wenig sie vor dem Risiko zurückschrecken,
ihr Vertrauen an einen Unwürdigen zu verschwenden
oder an ein bloßes Hirngespinst.
Es muss daran liegen, dass diese Argumentation
an starke menschliche Sehnsüchte rührt.
Das rationale Denken bleibt dabei auf der Strecke.
Küng empfiehlt das „Wagnis“ des unbedingten Vertrauens
nicht, weil Tatsachen und rationale Schlussfolgerungen
dafür sprächen.
Er empfiehlt es wegen eines angeblichen emotionalen Gewinns:
Befreiung, Bestehen des Leides, einen „letzten Halt“.
Das ist nichts anderes als eine moderne Variante
der berühmten „Pascalschen Wette“:
Blaise Pascal (1623-1662) empfahl,
unabhängig von Tatsachen und rationalen Schlussfolgerungen zu glauben,
um die Chance zu bekommen, die ewige Seligkeit zu erlangen.
Küng empfiehlt,
unabhängig von Tatsachen und rationalen Schlussfolgerungen zu glauben,
um einen diesseitigen Gewinn für sein Gefühlsleben zu erlangen.
Hans Albert,
einer der führenden Vertreter des Kritischen Rationalismus,
hat Küngs Umgang mit dem Theodizee-Problem
folgendermaßen kommentiert:
Von einem modernen „kritischen“ Theologen
kann man offenbar nicht mehr erwarten,
dass er eines der wichtigsten und schwierigsten Probleme
der Theologie ernst nimmt.
„Das Elend der Theologie.
Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng“, S. 161
So viel zu Versuchen von Gläubigen,
eine Lösung des Theodizee-Problems für entbehrlich zu erklären.
Im 3. Teil meines Aufsatzes
komme ich zu
angeblichen Lösungen für das Theodizee-Problem.
Braunschweig, den 8. August 2005
Irene Nickel
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1 „ GottTP“ (wie „GottTheodizee-Problem“)
wurde im 1. Teil definiert als Abkürzung für den Gott,
um den es beim Theodizee-Problem geht,
dem – wie in den Prämissen 2–6 und Schlussfolgerung 1 beschrieben –
Allmacht und Güte zugeschrieben werden,
und dazu Kenntnisse, Intelligenz und Rationalität.
2 Hiobs Reaktion auf die Reden Gottes
hat bei einigen Lesern der Erzählung Verwunderung ausgelöst.
Vorher, in seinen Antworten an seine Freunde,
hatte Hiob ja nicht den Eindruck gemacht,
er wäre so leicht einzuschüchtern;
und nicht den Eindruck,
er hätte nicht genug Verstand, um zu erkennen,
dass aus der Macht und dem Wissen Gottes
keineswegs zwingend folgt, dass dieser Gott gerecht sein müsste.
Deshalb sind andere Deutungen versucht worden.
Zum Beispiel die,
dass Hiob (oder der Autor des Buches Hiob)
es als unverständig erkannt habe,
von Gott Gerechtigkeit zu erwarten;
sodass es verständiger sei,
vor Gott nur opportunistisch den eigenen Vorteil zu suchen,
sich klein zu machen und zu reden, was er hören will.
Eine weitere Deutung – mit der genannten kombinierbar –
besteht darin, dass der Schluss ein Täuschungsmanöver sei,
wie es von religionskritischen Autoren in intoleranten Zeiten
des öfteren gebraucht wurde:
Man stellt religionskritische Aussagen und Argumente vor –
z. B. bei Hiob die Aussage,
dass das Theodizee-Problem nicht lösbar sei –
dann aber erklärt man mit großer Geste und frommen Worten
all die religionskritischen Aussagen und Argumente für widerlegt,
um sich vor Verfolgung zu schützen.
Die „Widerlegung“ formuliert man dabei so wenig überzeugend,
dass man hoffen kann,
dass intelligente Leser das Manöver durchschauen
und erkennen, dass es die „widerlegten“ Aussagen sind,
die der wirklichen Meinung des Autors entsprechen.
Eine andere denkbare Erklärung für die Diskrepanzen
zwischen dem Schluss des Buches Hiob
und den vorangehenden Kapiteln
könnte sein, dass das Buch mehrere Autoren
mit unterschiedlichen Einstellungen haben könnte.
Dazu schrieb ich hier im Jahre 2005:
Ob textkritische Untersuchungen
eher für oder eher gegen eine solche Erklärung sprechen,
weiß ich leider nicht.
Alles, was ich hier in der 2. Fußnote geschrieben habe,
ist jedenfalls Spekulation,
die allein auf der Beobachtung beruht,
dass Hiobs Äußerungen am Schluss
nicht so recht zu seinen früheren Äußerungen passen wollen.
Inzwischen, im Januar 2010,
habe ich meine Hypothese bestätigt gefunden,
„dass das Buch mehrere Autoren
mit unterschiedlichen Einstellungen haben könnte“.
Der Neutestamentler Prof. Bart D. Ehrman unterscheidet
eine Prosa-Quelle
(Beginn und Ende des Buchs Hiob)
und eine Quelle mit poetischen Dialogen
zwischen Hiob und seinen Freunden.
Er erklärt, das Buch Hiob
stamme von mindestens zwei verschiedenen Autoren,
und diese verschiedenen Autoren
hätten unterschiedliche, einander widersprechende Auffassungen
davon, warum Menschen leiden.
(God’s Problem. How the Bible Fails to Answer
Our Most Important Question–Why We Suffer,
ab S. 162 unter der Überschrift
The Book of Job: An Overview)
3 Zur Orientierung für andere Ausgaben von „Christ sein“:
Auf S. 520
beginnt im dtv-Taschenbuch
das Unterkapitel „Gott und das Leid“ im Kapitel C.VI.2,
nach dem Unterkapitel „Opfer?“.
Und S. 357
ist im dtv-Taschenbuch
die 5. Seite des Unterkapitels „Kein neuer Gott“ im Kapitel C.IV.2.
4 Küng zu Jesu Passion:
Dass Gott auch in diesen erschütternden Ereignissen
und gerade hier seine Hand im Spiel hatte. Dass darin
nicht der Zufall, sondern Gottes Plan und Vorsehung walteten.
Dass die Menschen in all ihrer Eigenmächtigkeit und Schuld
im Grunde doch die Werkzeuge Gottes blieben.
in „Christ sein“ auf S. 391 f im dtv-Taschenbuch,
2. Seite im Unterkapitel „Stationen“ im Kapitel C.IV.3
Bibel,
z. B. im Matthäus-Evangelium, Kapitel 26:
In Gethsemane – Vers 39 – betet Jesus:
... Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst
und bei seiner Gefangennahme – Vers 53-54 – sagt er:
Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich
mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte?
Wie würde dann aber die Schrift erfüllt,
nach der es so geschehen muss?
Und im Römerbrief – Kapitel 8, Vers 32 – schreibt Paulus über Gott:
Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont,
sondern ihn für uns alle hingegeben –
wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?
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URL: http://irenenickelreligionskritik.beepworld.de/theodizee2.htm
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