Irene Nickel

Vom Glauben zur Gedankenfreiheit

Mein persönlicher Weg
vom anerzogenen christlichen Glauben
zu eigenen Entscheidungen

Bis zum Alter von 18 Jahren war ich gläubige Christin,
und mein Glaube war mir sehr wichtig.
Doch kurz vorm Abitur begann ich ernsthaft zu zweifeln.
Ironischerweise war es ein Pastor,
der mit seiner Predigt den Anstoß dazu gab:
Er riet den Gläubigen, ihren Glauben zu verkünden,
auch wenn sie sich unsicher seien;
dabei würde ihr eigener Glaube wachsen.

Betroffen stellte ich fest, dass mein Glaube so ähnlich funktionierte:
Durch Zufall war ich als Kind christlicher Eltern geboren
und in den christlichen Glauben hineingerutscht.
Wenn Zweifel – selten genug – an die Oberfläche meines Bewusstseins gelangt waren,
dann hatte ich Zuflucht im Gebet gesucht.
So hatte ich mich selbst immer wieder in diesem Glauben bestärkt.

Das hieß:
Letztlich beruhte mein Glaube auf purem Zufall.
Damit wollte ich mich nicht zufrieden geben.
Mein Glaube war mir zu wichtig,
um die Entscheidung darüber noch länger dem Zufall zu überlassen.
So begann ich, viel darüber nachzudenken.

Den Gottesdiensten blieb ich bald fern.
Ich fühlte mich nicht mehr wohl unter den Gottesdienstbesuchern,
die um mich herum wie selbstverständlich
ihr Glaubensbekenntnis sprachen,
während das mir nicht mehr möglich war.

Ein Kirchenaustritt stand für mich aber vorerst nicht auf dem Programm.
Ich wollte abwarten,
wie sich meine Überzeugungen in Glaubensfragen entwickeln würden.

 
Bald – innerhalb von Monaten – führte mich diese Entwicklung
in eine kritische Distanz zum Christentum.

Allzu absurd erschien mir die Lehre vom Kreuzestod Jesu
als „Liebestat“ Gottes.
Wenn ein allmächtiger Gott sich mit den Menschen versöhnen wollte,
warum tat er es dann nicht einfach?
Wozu sollte er erst seinen Sohn so quälen?
War Gott etwa ein Ungeheuer,
das unbedingt ein Opfer haben wollte,
und wenn es sein eigener Sohn war?
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Außerdem leuchtete mir nicht ein,
warum Gott sich so festlegen sollte,
wie Jesus das – nach Angaben des Johannesevangeliums – predigte:

Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;
niemand kommt zum Vater außer durch mich.
       (Johannes 14,6)

Wie armselig, wenn ein Gott,
der den Menschen unzählige Möglichkeiten eröffnen könnte,
einen Weg zu ihm zu finden,
sich stattdessen auf diesen einen einzigen Weg versteifte!
Noch dazu auf einen Weg,
der alle die Menschen ausschloss,
die von bestimmten historischen Ereignissen keine Kenntnis hatten!

 
Meine Ablösung von den spezifisch christlichen Lehren
war noch keine Ablösung vom Glauben an Gott.
Lange beschäftigte mich noch die Frage,
ob es für mich nicht –
möglicherweise im Rahmen der jüdischen Religion –
einen Weg zurück geben könnte
zu einem gefestigten Glauben an Gott.

Erst nach etwa zwei Jahren stand für mich fest:
Auch mit diesem Glauben war es vorbei.
Angesichts einer Welt,
in der es so viel unerträgliches und sinnloses Leiden gab,
war es mir unmöglich,
noch an einen allmächtigen und liebevollen Gott zu glauben.
         (mehr dazu hier)

 
Dass ich so lange brauchte, bis ich zu diesem Schluss gekommen war,
das hat viel mit Gefühlen zu tun.
Mein Glaube an Gott bedeutete mir viel.
Denn mein Gott war für mich eine sehr wichtige Bezugsperson,
jemand, dem ich vertrauen konnte
und von dem ich mich verstanden fühlen konnte
wie von niemandem sonst.
Das muss einer der Gründe gewesen sein,
warum ich mich so schwer von dem Gedanken trennen konnte,
dass es möglicherweise doch einen Weg zurück geben könnte
zu einem gefestigten Glauben an Gott.

Im Laufe der Zeit, in der ich mich mit dieser Frage beschäftigte,
wandelten sich jedoch meine Gefühle.
Ich lernte die Freiheit zu schätzen,
die der Unglaube mir gab:
Die Freiheit, denken zu können, was ich für richtig hielt,
ohne mir Sorgen darüber zu machen,
ob das nicht vielleicht einem Gott missfallen könnte.
Ich war befreit von der Versuchung,
aus Angst vor negativen Reaktionen eines Gottes
bestimmte Gedanken aus meinem Bewusstsein zu verbannen.
Ich hatte ein großes Maß an Freiheit gewonnen,
ehrlich zu sein zu mir selbst.

 
Als ich endlich zu dem Ergebnis gekommen war,
dass es vorbei war mit meinem Glauben an Gott,
da erschien es mir logisch, nun aus der Kirche auszutreten.
Ich war evangelisch erzogen und hatte gelernt,
dass die Zugehörigkeit zu einer Konfession
und die Bejahung ihrer wesentlichen Glaubenslehren
zusammengehörten.

Trotzdem zögerte ich noch etwa drei Monate lang.
Ich dachte daran, welche Gefühle ein Kirchenaustritt von mir
bei meinen Eltern auslösen würde.

Den Ausschlag gab schließlich meine Einschätzung,
dass die Lehren der Kirche
nicht nur unwahr waren, sondern auch schädlich:
Auslöser schwerer Schuldgefühle,
die gewöhnlich in keinem Verhältnis zum Anlass standen,
wenn sie nicht völlig unbegründet waren.
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Das wollte ich nicht länger mittragen.
Ich erklärte meinen Austritt aus der evangelischen Kirche.

Braunschweig, den Freitag, 29. Oktober 2010

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