Leserbrief zur taz vom 27.12.2006,
„Bad Religion“,
nicht veröffentlicht

Irene Nickel

Ja zur öffentlichen Diskussion von Glaubensfragen

„Endlich!“, kann ich nur sagen zum erwachenden Interesse an der öffentlichen Diskussion von Glaubensfragen. Allzu lange rechnete man es zum „guten Ton“, Argumente gegen den Glauben totzuschweigen; allzu lange akzeptierte man die Begründung, „schließlich will man ja niemandes Gefühle verletzen“.

Niemandes? Ich erinnere mich noch, wie allein ich mich fühlte, als ich zu zweifeln begonnen hatte. Am bedrückendsten war dies Gefühl für mich in den Kirchen, wo ein scheinbar monolithischer Block von Gläubigen eine scheinbar unerschütterliche Glaubensfestigkeit zur Schau trug. Dies Unbehagen hat mich aus den Gottesdiensten vertrieben, lange bevor für mich absehbar war, dass meine noch unsicheren Zweifel in ein entschiedenes Nein zum Glauben münden würden.

Wenngleich diese Zeit der Unsicherheit nun schon lange hinter mir liegt, gilt meine Solidarität immer noch den Zweifelnden und Suchenden. Es ist unangenehm genug, wenn man nicht weiß, was man denken soll; es muss nicht sein, dass man sich auch noch als Außenseiter fühlen muss.

Eine offene Diskussion des Für und Wider in Glaubensfragen kann diesen Menschen den Rücken stärken. Sie kann ihnen helfen zu erkennen, dass es nicht an ihren Unzulänglichkeiten liegt, wenn sie sich nicht sicher sind; dass es vielmehr an der Schwierigkeit eines Problems liegt, bei dem die Klügsten die unterschiedlichsten Meinungen vertreten.

Eine offene Diskussion bietet vielen Menschen gute Gelegenheiten, all die Argumente für und wider kennenzulernen. Sie kann ihnen manches Herumsuchen und Herumgrübeln ersparen, sie kann ihnen helfen, sich ohne unnötige Verzögerungen eine fundierte Meinung zu bilden. Sie kann hilfreich sein für die Zweifelnden und Suchenden – aber auch für diejenigen, die ihre Überzeugungen nicht dem Zufall der Geburt überlassen wollen, durch den sie einer Erziehung zu bestimmten Vorstellungen ausgesetzt waren.

Warum gibt es nicht mehr Gläubige, die eine solche Gelegenheit begrüßen? Sie könnten doch sagen: „Wenn mein Glaube etwas taugt, dann kann ich ihn getrost der Auseinandersetzung mit Argumenten von Andersdenkenden aussetzen; dann wird er diese Auseinandersetzung überstehen, ja gestärkt aus ihr hervorgehen. Und wenn nicht – dann habe ich nichts zu verlieren als meine Vorurteile.“ Warum denken nicht mehr Gläubige so?

Ich habe den Verdacht, dass viele ahnen, dass ihr bisheriger Glaube in einer solchen Auseinandersetzung eine schlechte Figur machen würde. Viele der Argumente, die jetzt öffentliches Interesse finden, sind ja nicht neu. Zum Beispiel das Argument mit den Amputierten, denen ihre Glieder nicht nachwachsen. Es ist nur eine Variante des Theodizee-Problems, das schon der antike Philosoph Epikur formuliert haben soll: „Warum hilft Gott nicht? Kann er nicht, oder will er nicht? Kann er nicht, dann ist er nicht allmächtig. Will er nicht, dann ist er nicht gütig.“ Wie kann da das Dogma von der Existenz eines allmächtigen und gütigen Gottes etwas anderes sein als offensichtlicher Unsinn? Wie kann man da noch all den Heiligen Schriften glauben, die einen solchen Unsinn verkünden?

Auch eines der wichtigsten Argumente von Richard Dawkins ist nicht völlig neu. „Wer erschuf den Schöpfer?“, diese Frage haben schon Generationen von Philosophen denen entgegengehalten, die meinten, irgendeine Ursache müsse es doch geben für die Existenz der Welt und für die zweckmäßige Gestalt lebender Organismen. Dawkins hat nur deutlicher herausgearbeitet, dass die Entstehung komplexer Lebewesen auf dem Wege der Evolution ohne Zutun eines Schöpfers – so unwahrscheinlich sie erscheinen mag und so selten sie deshalb vielleicht vorkommen mag – doch lange nicht so unwahrscheinlich ist wie die Existenz eines Schöpfers, der all das zu planen vermocht haben soll, und der mit dieser erstaunlichen Fähigkeit existieren soll, ohne dass ein weiterer Schöpfer ihm zur Existenz verholfen haben soll.

Ein weiteres wichtiges Argument hat schon Abbé Jean Meslier (1664-1729) vorgebracht: Wenn Gott wollte, dass Menschen seine Vorschriften befolgen, warum hat er ihnen keine sichereren und zuverlässigeren Beweise der Wahrheit gegeben? Christen mögen erwidern: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ (Johannes 20,29). Sie mögen verkünden, ihr Gott würde lieber Leichtgläubige zu Anhängern gewinnen als kritisch denkende Menschen. Ich kann an einem solchen Gott wenig Verehrungswürdiges finden. Einen komischen Geschmack hat er. Erinnert verdächtig an den Geschmack von Betrügern und Volksverführern.

Eines steht für mich fest: Einen Gott, der von kritisch denkenden Menschen verehrt werden möchte – einen Gott, der von mir verehrt werden möchte – einen solchen Gott gibt es offensichtlich nicht.

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URL: http://irenenickelreligionskritik.beepworld.de/glaubensfragen_disku.htm

 


   

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