Leserbrief zu
„Die katholische Kirche schweigt starrköpfig (V)“,
Saar-Echo, im Internet mit Datum 25.12.2005

Irene Nickel

Zum Theodizee-Problem:
einige erstaunliche Argumente von Gläubigen

Zu Ihrer Serie zum Theodizee-Problem möchte ich Sie beglückwünschen: zu Ihrem Mut, ein Thema zur Sprache zu bringen, das einigen recht ungelegen kommen dürfte; und zur Qualität der Beiträge Ihres Autors Frank Krüger.

Es ist schon erstaunlich, wie Gläubige angesichts des Theodizee-Problems argumentieren. Da schwärmt Landesrabbiner Henry G. Brandt (und nicht nur er) davon, dass der Mensch „mit der Gabe des freien Willens beschenkt“ worden sei, „die Entscheidung über Tun und Nichtstun ist ihm überlassen, unter der Voraussetzung, dass die daraus sich ergebenden Folgen zu tragen sind“ – „Nur zu oft von anderen!“, möchte ich hinzufügen. Gilt diesem Gott der freie Wille des Mörders, der morden will, mehr als der freie Wille des Opfers, das leben will?!

Bei aller Abneigung gegen die Idee, Gott könnte den menschlichen Willen manipulieren und so den Menschen zur Marionette machen (was übrigens durchaus zum Verhaltensrepertoire des biblischen Gottes gehörte, man denke an die Manipulation des Willens des Pharao vor den 10 ägyptischen Plagen (Exodus = 2. Mose 7)) – für einen allmächtigen Gott wäre das kein Grund, potentiellen Opfern seinen Schutz zu versagen. Ein allmächtiger Gott bräuchte dazu nicht in den Willen des potentiellen Täters einzugreifen; er könnte ihn auch von außen daran hindern, seine Tat durchzuführen. Wie wir ja auch von unserer Polizei erwarten, dass sie potentielle Opfer schützt, wenn sie Gelegenheit dazu bekommt. Wir wären äußerst befremdet, würde die Polizei stattdessen den „freien Willen“ des potentiellen Mörders respektieren und den Mord geschehen lassen. Dass so ein Verhalten „barmherzig“ sein könnte, auf die Idee kommen nur Menschen, die das Dogma vom allmächtigen und barmherzigen Gott um keinen Preis aufgeben wollen.

Merkwürdig auch die Argumentation des ZDF-Journalisten Peter Hahne: Gott habe „das Leid bereits ertragen ... In der Person seines Sohnes Jesus Christus.“ Deshalb, meint Hahne, bräuchten wir „Gott gar keinen Prozess zu machen.“ Nanu? Würden wir keinen Prozess machen, hätte ein Masochist gemeint, er hätte ein Leid ja selbst ertragen, also hätte er es anschließend auch anderen zufügen dürfen? Würden wir ihn „barmherzig“ nennen?

Mit der Erklärung, Gott sei „bei den Leidenden“ und „stehe ihnen bei“, versucht Landesbischöfin Margot Käßmann, Gottes unterlassene Hilfeleistung gegenüber Leidenden weniger skandalös erscheinen zu lassen. Durch Anwesenheit und Zuwendung zu helfen, das ist manchmal das Einzige, was wir Menschen für einen Leidenden tun können. Wir Menschen haben manchmal einfach nicht die Möglichkeit, jemanden „aus dem Leiden zu ziehen“; und damit sind wir entschuldigt. Aber eine Lösung des Theodizee-Problems ist auf diese Weise nicht zu haben. Ein allmächtiger Gott hätte viele Möglichkeiten, Leidende „aus dem Leiden zu ziehen“ – was soll man davon halten, wenn er sie nicht nutzt? Was würden wir wohl von einer Mutter halten, die ihrem schwerkranken Kind eine heilende Medizin vorenthalten würde und darauf verweisen würde, dass sie ja bei ihrem leidenden Kind sei und ihm „beistünde“? Würden wir uns nicht an den Kopf fassen? Würden wir uns nicht fragen, ob man so einer Mutter nicht das Sorgerecht entziehen sollte? Ob man sie nicht auf ihren Geisteszustand untersuchen sollte?

Auf seltsame Argumentationen verfallen einige Gläubige bei ihren Bemühungen um eine Theodizee. Das ist kein Wunder: Es kann der Klügste nichts Gescheites zustande bringen, wenn er etwas zu begründen versucht, was offensichtlich nicht stimmt. Das hat ja schon der griechische Philosoph Epikur (314-270 v.u.Z.) klar erkannt und begründet: Gäbe es wirklich einen allmächtigen und zugleich sehr gütigen Gott, dann könnte es nicht sein, dass so viele Menschen so schwer leiden müssen. 1

Dr. Nadeem Elyas vom Zentralrat der Muslime nennt es „naiv und dumm“, im Glauben eine „Garantie gegen Armut, Seuchen, Naturkatastrophen, Krieg und Vernichtung auf Erden“ zu sehen. Und doch ist diese Garantie eine logische Konsequenz aus den Dogmen von der Allmacht und der Allgüte Gottes. An diese Garantie zu glauben, das mag man „naiv und dumm“ nennen. Es ist jedoch nicht naiver und nicht dümmer, als an die Allmacht und Güte Gottes zu glauben.

Nicht ohne Grund wendet sich Frank Krüger gegen die Praxis der monotheistischen Religionen, „in Unaufrichtigkeit an fundamentalen Fehlern der Religionsstifter festzuhalten“, nicht ohne Grund vergleicht er diese Praxis mit einer Lüge.
  
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1 So überliefert es uns jedenfalls der Kirchenschriftsteller Laktanz.

Was mir zur Zeit der Abfassung des Leserbriefs nicht bekannt war:
Nach heutiger Auffassung stammt die von Laktanz wiedergegebene Überlegung jedoch weder von Epikur noch aus seiner Schule,
sondern von einem unbekannten Philosophen der skeptischen Richtung.
Wie auch immer, das Alter der Überlegung ist beträchtlich,
da sie Laktanz (ca. 250–320 u. Z.) bereits bekannt war.

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