Irene Nickel

Kindererziehung:
Wohlmeinende Experten raten
zu einem „Bild eines fürsorglichen Gottes“

Hintergrund:

Am 24.12.2009 präsentierte das Hamburger Abendblatt
unter der Überschrift
„Der Expertenrat zum Thema: Wie halte ich es mit der Religion?“
die folgenden Empfehlungen für Eltern:

„Sie sollten, auch wenn sie konfessionslos sind, Kindern erlauben,
in die Kirche zu gehen oder sich taufen zu lassen.
Im Jugendalter ist Kirchenzugehörigkeit oft identitätsstiftend.
Das sollte man fördern.
Was sich verbietet, ist Fundamentalismus,
egal vor welchem religiösen Hintergrund.
...
Eltern sollten nicht aufgrund des Glaubens
auf dogmatischen Verhaltensvorschriften bestehen
oder das Bild eines Gottes vermitteln,
der alles kontrolliert und jede Sünde bestraft.
Das löst bei Kindern das Gefühl aus, verfolgt zu werden.
Stattdessen sollten sie das Bild eines unterstützenden
und fürsorglichen Gottes mit auf den Weg geben,
der einem in der Not zur Seite steht.“

Dazu veröffentlichte das Hamburger Abendblatt am 30.12.2009
meinen folgenden Leserbrief:

Der Expertenrat zum Thema Religion ist gut gemeint – aber ob er sein Ziel erreicht? Bei religiösen Eltern werden Argumente, die auf das Wohl des Kindes abzielen, wenig bewirken: Sie werden auf jeden Fall der Meinung sein, es sei das Beste für ihre Kinder, wenn sie den „richtigen“ Glauben hätten; also werden sie ihren Kindern das vermitteln, was sie selber glauben. Auch dann, wenn sie an einen Gott glauben, „der alles kontrolliert und jede Sünde bestraft“; sie werden meinen, es wäre besser für die Kinder, wenn sie Angst vor Gott hätten und die Sünde mieden, als wenn sie sündigten und bestraft würden. Viele dieser Eltern müssten erst einmal ihr eigenes Gottesbild überdenken, bevor sie sich bereit finden können, ihren Kindern ein freundlicheres Gottesbild zu vermitteln.

Aber auch Eltern, die an einen „unterstützenden und fürsorglichen Gott“ glauben, haben zum Teil allen Grund, ihren Glauben zu überdenken. Alle die Eltern, die ihren Kindern zugleich die traditionelle Vorstellung aus dem christlichen Glaubensbekenntnis vermitteln wollen, dass Gott allmächtig sei. Es gibt so viele Menschen auf der Welt, die unter bitterer Not oder schweren Krankheiten leiden – wenn Gott fürsorglich ist, würde er nicht helfen wollen, und wenn er allmächtig ist, würde er nicht helfen können? Warum bleiben so viele leidende Menschen ohne die dringend benötigte Hilfe? Das ist eine Frage, an der sich Theologen und Philosophen jahrhundertelang die Zähne ausgebissen haben 1; und sie haben keine glaubwürdigere Antwort gefunden als: Gott hilft nicht, weil es ihn gar nicht gibt.

Eltern ohne religiösen Glauben werden ihren Kindern irgendwann erklären müssen, dass es Menschen gibt, die an einen Gott glauben (oder auch an mehrere). Aber die Kinder in die Kirche gehen zu lassen, wo sie auf Menschen treffen, die steif und fest behaupten, es würde einen bestimmten Gott tatsächlich geben, das ist für jüngere Kinder keine Bereicherung, sondern eher verwirrend.

Nichtreligiöse Eltern haben keinen Grund, ihre Kinder zu religiösen Aktivitäten zu ermuntern. Identitätsstiftung? Zur Stiftung von Gruppenidentität gibt es weniger problematische2 Möglichkeiten, in der Schulklasse, im Sportverein, in der Musikgruppe ...
Mindestens so wichtig, gerade für ein Kind, ist die individuelle Identität, die in den Beziehungen zu den Menschen begründet ist, die dem Kinde nahestehen.

Auf einen „unterstützenden und fürsorglichen Gott“ können Kinder gut verzichten, wenn sie zu Hause genug Liebe erfahren. Ein solcher Gott ist ohnehin nur ein blasses Zerrbild dessen, was Fürsorglichkeit bedeutet: Er gibt ja nicht einmal Antwort, wenn man zu ihm spricht! Zuhören, was Kinder zu sagen haben, sich dafür interessieren, was Kinder bewegt, und das auch zeigen, indem man Antworten gibt, in denen man auf das eingeht, was die Kinder gesagt haben – das ist einer der wichtigsten Aspekte der Fürsorglichkeit, die liebende Eltern ihren Kindern entgegenbringen. Ein Gott, mit dem das Kind nicht in einen lebendigen Kontakt treten kann, hat dem Kind nicht mehr zu bieten als ein Kuscheltier. Eher weniger: Das Kuscheltier ist wenigstens wirklich da, ein sinnlich erfahrbares Symbol der Liebe, mit der es die Eltern dem Kind in den Arm gelegt haben.
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1 mehr zu der Frage
      „Warum hilft Gott nicht?
       Wenn es doch heißt, dass er allmächtig und fürsorglich ist?“
unter Theodizee-Problem

2 Warum Identitätsstiftung durch Religion besondere Probleme bereitet,
das konnte ich im Rahmen eines Leserbriefs nur teilweise andeuten:
Bestimmte Gottesbilder machen Kindern Angst,
bestimmte andere –
wie das Bild eines allmächtigen und dabei fürsorglichen Gottes –
erweisen sich angesichts einer Welt voller Leid
als wirklichkeitsfremde Phantasien.

Es gibt noch mehr Gründe,
Identitätsstiftung durch Religion für problematisch zu halten:

       Kinder, die dazu erzogen werden,
eine bestimmte Religion
als einen wesentlichen Teil ihrer Identität zu empfinden,
haben es später schwerer,
in religiösen Fragen zu einer eigenen Entscheidung zu finden.

       Religiöse Gruppenidentitäten wirken stärker trennend
als andere Gruppenidentitäten.
Sportvereine oder Musikgruppen stehen zwar mitunter
in einer praktischen Konkurrenz um die Zeit eines Kindes –
aber kaum irgendwo wird die Zugehörigkeit zu einer anderen Gruppe
mit solchem Nachdruck als „falsch“ abgelehnt
wie in den hierzulande verbreiteten Ein-Gott-Religionen.

       Probleme bereitet nicht zuletzt der Inhalt
der hierzulande verbreiteten Ein-Gott-Religionen,
und dies vor allem dann,
wenn sie in traditioneller Weise gedeutet werden
und/oder in großer Nähe zu ihren alten Heiligen Schriften.
Mehr dazu auf den religionskritischen Seiten meiner Homepage,
speziell zur Heiligen Schrift der Christen
unter Die Bibel – ein inhumanes Buch.

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URL: http://irenenickelreligionskritik.beepworld.de/erziehung_bzgl_reli.htm


   

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