Bibelkritik in Leserbriefen an die Braunschweiger Zeitung
Irene Nickel
Im Brustton der Überzeugung:
„Das hat nichts mit dem Christentum zu tun!“
Unter der Überschrift
„Folterungen sind älter als das Christentum“
erschien in der Braunschweiger Zeitung vom 8.5.2009
ein Leserbrief mit einer kühnen Behauptung:
„Inquisition, Hexenverbrennungen, Missionierung von Indianern und anderen Kulturvölkern, Sachsenbekehrungen, Sklavenhaltung oder Kolonien“,
zu diesen traurigen Tatsachen versicherte ein Leser:
„All diese Dinge haben nichts mit dem Christentum zu tun ...“
Dem widersprach ich;
mein Leserbrief wurde am 11.5.2009 vollständig veröffentlicht.
Dazu fand die Braunschweiger Zeitung eine Überschrift,
die ich gern hier übernehme:
Manche Christen kennen offenbar die Bibel nicht
Wenn Christen meinen, dass Inquisition und Hexenverbrennungen „nichts mit dem Christentum zu tun“ hätten, dann kennen sie offenbar ihre eigene Bibel nicht. Die Scheiterhaufen der Inquisition waren im Wesentlichen anderes als die Steinigungen von religiösen Abweichlern, die in der Bibel geboten werden (Deuteronomium = 5. Mose 17,2-5); Unterschiede gab es allenfalls im Ausmaß der Grausamkeit. Die Christen, die „Hexen“ verbrannten, befolgten ein Gebot der Bibel: „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen.“ (Exodus = 2. Mose 22,7, Einheitsübersetzung). Beide Gebote gehören zu dem Gesetz, von dem Jesus ausdrücklich erklärte, dass keines von den kleinsten Geboten aufgehoben werden sollte (Bergpredigt, Matthäus 5,17-19)
Und auch das ist ein Spruch Jesu: „Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.“ (Lukas 14,26, Übersetzung nach Luther) Einen Keil zwischen seine Anhänger und ihre Familien zu treiben, diese bei Sekten gern geübte Praktik gehörte auch zum Repertoire des vielgepriesenen Jesus von Nazareth.
Zu diesem meinem Leserbrief hagelte es Widerspruch;
vier Leserbriefe dieser Art veröffentlichte die Braunschweiger Zeitung
am 14.5.2009 unter der Überschrift
„Ein Blick in das Herz Gottes“.
Dort fand ich eine recht umfangreiche Sammlung von Einwänden
aus der üblichen Palette christlicher Apologetik.
Darauf antwortete ich in einem weiteren Leserbrief;
nachdem er, soweit mir bekannt, in der Braunschweiger Zeitung
nicht veröffentlicht wurde, veröffentliche ich ihn jetzt hier:
Antworten auf christliche Apologetik
„Aus dem Zusammenhang gerissen“ sollen die Bibelzitate sein, die zum Mord an Hexen und an religiösen Abweichlern auffordern? Nun, in dem Zusammenhang – im „Gesetz“, d. h. in den fünf Büchern Mose – finden sich reihenweise Zitate, in denen zum exzessiven Gebrauch der Todesstrafe aufgefordert wird, dazu Aufforderungen zum Angriffskrieg und zum Völkermord an der Zivilbevölkerung der Besiegten. Dass dies Gesetz aufgehoben sei, das steht zwar auch in der Bibel – als Meinung des Paulus. Jesus aber hat, laut Bibel, die ausnahmslose Gültigkeit des Gesetzes ausdrücklich bestätigt. In genau der Bergpredigt,
die mir als „klärende Lektüre“ empfohlen wurde.
An einer Stelle steht das eine, an anderer Stelle das Gegenteil. Die Bibel ist kein Buch, das Orientierung gibt. Eher ist sie ein Gemischtwarenladen, in dem sich jeder das heraussuchen kann, was ihm gerade passt. Inquisitoren und Hexenmörder hielten sich an das, was ihnen passte. Viele Christen von heute halten sich mehr an die positiven Stellen. So erfreulich das ist: Wer darauf beharrt, dass Inquisition und Hexenmord
„nichts mit dem Christentum zu tun“ hätten, lügt sich etwas in die Tasche.
Jesus predigte Nächstenliebe – und strafte seine eigene Predigt Lügen. Statt geschiedenen Frauen eine zweite Chance in einer zweiten Ehe zu gönnen, verurteilte er solche Wiederheiraten als „Ehebruch“ (Matthäus 5,32 – auch in der vielgepriesenen Bergpredigt). Jesu „Nächstenliebe“ und seine Art, seine Mutter zu „ehren“, zeigt sich, als sie mit seinen Brüdern zu ihm kommen und ihn sprechen will: Statt sie wenigstens anzuhören, erklärt er, seine Jünger seien „seine Mutter und seine Brüder“ (Matthäus 12,46-50).
Jesu Kreuzestod soll „den Menschen das Heil gebracht“ haben? Als hätte ein allmächtiger Gott nicht auch anders die Möglichkeit gehabt, den Menschen so viel Gutes zu tun, wie er gewollt hätte. Mit Gerechtigkeit hatte dieser Foltertod nichts zu tun; die Bestrafung eines Unschuldigen ist nur neues Unrecht. Und mehr als seltsam ist die Vorstellung, dass ein Gott dadurch versöhnt werden könnte, dass sein eigener Sohn zu Tode gefoltert wird; verständlicher wäre, wenn er darüber erst recht in Zorn geriete. Dieser Gott ist so ungerecht und so grausam, dass ich gern darauf verzichte, mit ihm auf ewig Gemeinschaft zu haben. Verglichen mit diesem Albtraum ist es für mich eher tröstlich, erwarten zu können, dass ich nach meinem Tode nicht mehr sein werde, unerreichbar für Schmerz und Leid.
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